Aylin Yilmaz

Drachentöter

Dramatis Personae[1]

 

Dunkelfaust: Arias Großvater, ein gebrechlicher Geschäftsmann alter Schule mit einer steifen Eleganz. Er geht auf einen Stock gestützt, versprüht aber eine Entschlossenheit, die seine Macht ausdrückt.

 

Aria: Die Enkelin des Unternehmers. Sie ist Anfang 20 und gerade auf die Insel zurückgekehrt.

 

Sigurd: Ein rebellischer junger Mann, Anfang 20

 

Gudrun: Die kleine Schwester von Sigurd, circa 16 Jahre alt.

 

Kupferstift: Der alte, hagere Sekretär von Dunkelfaust.

 

Seemann: Sehr alt und verwittert, ehemaliger Untergebener von Dunkelfaust.

 

 

 

Die Bürger: (ältere Männer)

 

Bauer

 

Fischer

 

Schuppenschleifer 

 


 


 


 


 

Eine zeitlich und räumlich undefinierte vergangene Zukunfts-Welt.

 

Der Smaragd des Ozeans ist eine sonnige, kleine Insel in der Mitte des Ozeans.

 

Es ist eigentlich ein idyllisches Paradies.

 


 

 

Prolog

 

Aria und Sigurd kommen von unterschiedlichen Seiten auf die Bühne. Sie tragen Alltagskleidung und wechseln während des Gesprächs in ihre Rollenkleidung. Im Hintergrund bauen die restlichen Schauspieler die Bühne auf.

 

Aria und Sigurd schauen ins Publikum.

 

Sigurd: Es hat wieder geschneit.

 

Aria: Geschneit?

 

Sigurd: Schau sie dir doch an, wie sie dasitzen.

 

Aria: Was ist mit denen denn?   

 

Sigurd: Alle weiß auf dem Kopf.

 

Aria: Und? Die sind einfach alt.

 

Sigurd: Hier kommen nur noch die Alten hin.

 

Aria: Die Jungen interessieren sich halt nicht. Zu langweilig. Dabei wär‘s deren Sache!

 

Sigurd: Und die Alten wissen, wie sie Subventionen abgreifen können.

 

Aria: Welche Subventionen?

 

Sigurd: Naja, das alles hier. Das Theater. Alles vom Staat bezahlt. Von den Steuergeldern! Von selbst können wir uns doch nicht über Wasser halten. Sieh es dir doch an! Wieder halbleer der Laden! Bis auf die Opas und Omas.

 

Aria: Ja, gut. Wir müssen uns halt mehr anstrengen, die anderen zu erreichen!

 

Sigurd: Bezahlst du Steuern?

 

Aria: [lacht] Du bist witzig! Wie denn als Schauspielerin? Wir sind hier gerade mit Abstand die Ärmsten, würd ich wetten!

 

Sigurd: Hast du wohl recht! Aber da, wo es was umsonst gibt, da sind sie. Wie Schmarotzer oder Parasiten.

 

Aria: Das hast du gesagt! [zum Publikum] Das hat er gesagt!

 

Sigurd: Ja, habe ich wohl.

 

Aria: Meinst du, unser Stück wird ihnen gefallen?

 

Sigurd: Weil wir sie verantwortlich machen?

 

Aria: Für was?

 

Sigurd: Für alles! Für den Zustand der Welt. Warum alles so abgefuckt ist. Warum alles kaputt ist und keine Hoffnung besteht. Warum sie zulassen, dass das hier so ein Saustall geworden ist! Die Luft, der Boden, die Flüsse, das Meer, einfach alles!

 

Aria: Du bist zu hart. Heute haben sie sich hübsch gemacht! Guck sie dir an!

 

Sigurd: Weil wir sie fragen, warum sie nichts getan haben. Sie haben es doch alle gewusst. [zum Publikum] Warum habt ihr nichts getan? Ihr habt es doch alle gewusst! Ihr habt es alle geschehen lassen! Lasst es immer noch zu! Ihr habt es immer noch nicht verstanden! Darum müssen wir euch das jetzt hier erklären! Ich könnte mir auch was Besseres vorstellen!

 

Aria: Jetzt provozier die nicht noch! Gleich muckt einer auf und macht uns eine Szene! Du weißt doch, wie sensibel die Leute heute sind!

 

Sigurd: Ach, die haben alle studiert! Sieh sie dir doch an! Die haben Humor. Die glauben alle, dass sie mit Kritik umgehen können. Bildungsbürger halt. Die glauben ganz fest, dass sie die Guten sind!

 

Aria: Isso. [zum Publikum] Meint ihr doch, oder? [Pause] Aber wir sind auch nicht besser.

 

Sigurd: Meinst du?

 

Aria: Hmm. Kein Stück. Wir sind genauso verdorben wie die! Wir wären genauso egoistisch und selbstbezogen. Sind wir ja jetzt schon! Vielleicht liegt’s nicht an denen! Vielleicht liegt’s nicht an den Menschen, sondern am Menschen.

 

Sigurd: Nicht an den Menschen, sondern am Menschen? Woa, jetzt wirst du aber philosophisch! Nee, glaub ich nicht! So sind wir definitiv nicht!

 

Aria: Wir hatten nur noch nicht die Chance, alles zu verkacken!

 

Sigurd: So wie die? [Pause] Sollen wir starten?

 

Aria: Ja, lass mal! [zeigt ins Publikum] Die werden auch schon unruhig. Ich geh schon mal. Sag den netten Leuten noch was Nettes!

 

Aria ab[2].

 

Sigurd: Alles klar! [zum Publikum, etwas unsicher] Ja okay. Hallo erstmal! War übrigens nicht so gemeint eben. Ich muss das sagen, ich bin der hitzköpfige Rebell. Sie ist die Verständnisvolle und so. Ich wünsche euch jedenfalls… viel Spaß… wenn man das so nennen kann. Wir hoffen, dass euch das, was wir uns für euch überlegt haben… gefallen wird... Ja, weiß auch nicht... Nicht sauer sein oder so, okay? Also, los geht’s!

 

Sigurd ab. 

 

. Akt

 

Aria und Gudrun laufen durch einen prunkvollen Palast. Aria mit einem schweren Koffer.

Aria: Ich bin so froh, wieder hier zu sein! Habe fast vergessen, wie schön es hier ist! Doch jetzt kommt alles zu mir zurück! Die Insel, die Heimat, die Menschen, die Freunde! Wie sehr habe ich das alles vermisst.

Gudrun: Ich freu mich auch unendlich! Und deine Kleider! So exotisch! Wie wunderschön. Du musst mir alles erzählen!

Aria: Werde ich! Ich habe dir auch was mitgebracht. Euch allen!

Gudrun: Du bist so großzügig! Wie habe ich dich beneidet! Hier ist einfach alles wie immer. Nein, eigentlich ist alles nur schlechter geworden.

Aria: Oh nein! Das musst du erklären! Es ist der Drache, oder?

Gudrun: Ja… [Pause] aber später! Erst zu was Schönem. Erst zu dir! Wie es so ist in der Welt? Ich kenne ja nur das hier. Ich kann mir nur vorstellen, wie es anderswo sein mag! Du musst mir diese andere Welt zeigen! Wenn auch nur in Worten.

Aria: Es ist so toll, neu, spannend, exotisch! Du kannst es dir nicht vorstellen! Was ich an der Akademie alles gelernt habe! Ich habe so viele Ideen! So vieles, das wir tun können! Ich kann es nicht erwarten, bis wir loslegen.

Gudrun: Das glaube ich! Ich würde auch so gerne in die Ferne.

Aria: Wirst du auch noch!

Gudrun: Ich wünschte… aber wir können uns das nicht leisten. Niemand hier hat so viel Geld, außer deinem Großpapa natürlich.

Aria: Ja… [kurze, unangenehme Pause] Zusammen werden wir daran arbeiten, dass sich das ändert. Es wird sich was verändern, das verspreche ich dir!

Rhythmisches Trommeln setzt ein, erst leise, aber im Verlauf der Szene wird es immer lauter.

Gudrun: Es muss sich was ändern! Er wird immer größer und immer gieriger.

Aria: Als ich fortgegangen bin, war er noch ganz klein. Ich weiß noch, wie wir seine kleinen Schuppen für viel Geld verkauft haben! Einmal hat jemand einen Zahn gefunden! Ein Vermögen hat das eingebracht! Erinnerst du dich noch an die Feier, die mein Großpapa für alle geschmissen hat, als wir den kostbaren Zahn verkauft haben? Niemand auf der ganzen Welt bändigt einen Drachen!

Gudrun: Er ist jetzt riesig. Nach Schuppen und Zähnen suchen wir immer noch, und wir finden eine Menge. Viel größere! Dein Großvater ist unermesslich reich geworden! Aber das hat eben auch seinen Preis. Deswegen weiß ich nicht, ob es hier noch so schön ist. Dein Paradies mag die Heimat sein, die du so lange nicht gesehen hast. Meines ist die Ferne, die ich noch nie gesehen hab, und ich fürchte, sie rückt ferner mit jedem Tag, da er wütet.

Aria: So schlimm? Du willst weg? Tu mir das nicht an! Ich brauche dich!

Gudrun: [ungläubig] Mich? Glaub ich nicht!

Aria: Natürlich dich! Was du mir jetzt schon alles erzählt hast, ist so wertvoll! Wir müssen gemeinsam einen Weg finden! Mein Großvater hat es allein angestoßen, aber er ist jetzt alt und wir müssen die Zukunft zusammen gestalten! Es ist unsere Insel! Sie gehört uns allen!

Gudrun: Eigentlich gehört alles deinem Großvater. Und du brauchst meine Schilderungen nicht. Du siehst es ja überall, fast jeden Tag wird es schlimmer, und überhaupt habe ich auch keine Antworten!

Das Trommeln wird kurzfristig lauter.

Aria: Dann müssen wir das ändern!

Gudrun: Du! All das wird ja bald dir gehören! Der Palast, das Land, die ganze Insel!

Aria: [lacht] Übertreib nicht! Gehören wird sie mir nicht! Aber ich verstehe, was du meinst! Dafür hat Großpapa mich ja in die Ferne geschickt. Um zu lernen. Für die Insel. Für uns alle.

Gudrun: Du wirst es ja bald alles erben!

Aria: Hoffentlich nicht erben! Großpapa möchte einfach kürzertreten und seinen Lebensabend genießen! Hat er sich ja auch verdient! Er hat uns reich gemacht!

Gudrun: Eigentlich ist nur er reich geworden. Wir anderen jetzt nicht so.

Aria: Überleg mal, wie es früher war. Da waren wir ein Haufen primitiver Horden auf einem verlassenen Eiland[3]. Und jetzt? Sieh es dir an!

 

Das Trommeln wird lauter, der Lärm übertönt fast das Gespräch. Die beiden schauen besorgt.

 

Gudrun: [lauter] Ja, wir sind jetzt zivilisiert. Aber wenn du wüsstest, wie wir Normalen leben…

 

Aria: Wir Normalen? Ich bin doch eine von euch! Wir sind praktisch Schwestern!

 

Gudrun: Ich sag ja nur. So toll wie dir geht es nicht allen.

 

Aria: Dann müssen wir das ändern! Durchdacht und achtsam im Sinne der Interessen aller werden wir es schaffen!

 

Gudrun: Weiß nicht, ob noch Zeit ist für durchdacht und achtsam und so! Du hörst es ja!

 

Das Trommeln wird nun extrem laut.

 

Aria und Gudrun schauen aus einem Fenster, als würden sie etwas am Himmel verfolgen. Sie brüllen nun, um sich zu verständigen.

 

Aria: Meine Güte! Er ist wirklich riesig!

 

Gudrun: Und wird immer riesiger! Wir können nicht hierbleiben!  Zu gefährlich! Geh in die Kasematten[4]! Dort bist du sicher!

 

Aria: Ja, lass uns gehen!

 

Gudrun: [beiseite[5]] Wenn er wütet und sich wälzt, wirft er bald kostbarste Schätze ab. Die kann ich mir nicht entgehen lassen! Bald wird das ganze Dorf danach jagen. Der frühe Vogel schnappt die Schuppen! Wer reich ist, kann arm an Risiken sein, aber für den Armen ist das Risiko eine Schatzkarte. Aria ist für mich wie eine Schwester, aber sie hat so viel Reichtum, wie ich Armut habe. Ich muss alles riskieren, um nur einen Bruchteil zu stehlen von dem, was ihr sanft in die Wiege gelegt wurde. Mein Bruder wartet sicher schon! [zu Aria] Tut mir leid! Ich muss weg, mich um was kümmern! 

 

Aria: Bist du wahnsinnig, du kannst doch jetzt nicht raus? Was kann denn wichtiger sein als deine Sicherheit?

 

Gudrun: Du würdest es nicht verstehen! Ich erklär es dir später!

 

Gudrun ab.

 

Aria: [ruft ihr nach] Warte! Das ist doch viel zu gefährlich! [zu sich] Sie hat sich nicht geändert! Immer noch ein Springinsfeld[6]! Hoffentlich passiert ihr nichts! Was ist das für ein Monster!

 

Aria ab.

 

Vorhang.

 

 

 

Ein düsteres Gewölbe. Das Trommeln klingt gedämpft, bleibt aber bedrohlich. Aria von einer Seite. Dunkelfaust von der anderen. Sie sehen einander, gehen aufeinander zu und umarmen sich.

 

Dunkelfaust: So lange haben wir uns nicht gesehen. So sehr habe ich dich vermisst! Unter solchen Umständen sehen wir uns wieder, meine liebe Aria!

 

Aria: Großpapa! [Sie umarmen sich.] Ich hatte mir unser Wiedersehen anders vorgestellt als in diesem feuchten, dunklen Gewölbe! Aber trotzdem ist es so schön, dich zu sehen!

 

Dunkelfaust: Der Ort des Wiedersehens spielt doch keine Rolle, mein altes Herz leuchtet und meine Augen werden feucht, da ich dich sehe! Du hast viel zu berichten, viel studiert, gelernt, verstanden!

 

Aria: Was ich an den Akademien alles gelernt habe. Ein schöneres Geschenk hättest du mir nicht machen können, als mich wegschicken, um über die Welt zu lernen!

 

Dunkelfaust: Der Fortschritt ist der schönste Gang! Es muss einfach immer nach vorne gehen! Jedes Problem ist eine Herausforderung, und jede Herausforderung verlangt eine Lösung! Nichts geht über die Herrschaft der Ideen! Jeden Tag bekomme ich herkulische[7] Aufgaben, welch eine Herausforderung! Jetzt können wir sie gemeinsam angehen! Endlich bist du wieder da und wir sind vereint!

 

Das Trommeln schwillt wieder an.

 

Aria: Mir scheint, dass die Insel vor einer riesigen Herausforderung steht.

 

Dunkelfaust: Er wird größer, das ist wahr. Größer die Aufgaben, die er mir stellt, aber auch größer die Profite, die er schenkt! Es ist ein Kampf zwischen uns, seiner Kraft und meiner Genialität. Wie ein Schachspiel der Titanen!

 

Aria: Seine Kraft kann aber doch nicht mehr gebändigt werden!

 

Dunkelfaust: Das muss sie ja auch nicht. Nimm dieses Gewölbe: Das hat uns der Drache geschenkt. Durch ihn konnte ich es bauen! Er bringt uns so viel, dass wir uns den Schutz vor ihm leisten können!

 

Aria: Aber ohne ihn bräuchtest du das ganze Gemäuer doch gar nicht! Und was ist mit dem Rest der Insel? Ist der auch geschützt?

 

Dunkelfaust: Jeder ist frei, sich selbst zu schützen! Das ist das Schöne! Die Freiheit! Jeder ist seines Glückes Schmied! Und wie der eine oder die andere auf die Herausforderungen reagiert, das ist so mannigfaltig wie der menschliche Geist. Diese Freiheit will ich niemandem nehmen!

 

Aria: Freiheit?

 

Dunkelfaust: Es ist diese Freiheit, die mich zu dem gemacht hat, was ich bin. Jeder hat das Schicksal in seiner Hand. Du hast sie auch, und du hast sie genutzt, bist in die Welt gegangen und nun reicher an Wissen zurückgekehrt! Sieh, was aus dir geworden ist!

 

Aria: Kann sich diese Freiheit auch jeder leisten? Wo sind in diesem Augenblick die anderen Menschen?

 

Dunkelfaust: Sie werden ihren Weg finden! Soll ich ihnen vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben? Soll ich ihnen diese Freiheit nehmen?

 

Aria: Nur du hast die Freiheit, dir den Schutz zu leisten, wie mir scheint!

 

Dunkelfaust: Sie müssen nur ihren Verstand benutzen, dann finden sie einen Weg. Wenn sie das nicht machen, dann ist es nicht mein Problem! Ihre Denkfaulheit ist nicht meine Verantwortung!

 

Das Trommeln wird leiser und verstummt schließlich.

 

Aria: Ich meine nur, dass das Wollen des Einzelnen gegen das Wohl aller aufgewogen werden muss.

 

Dunkelfaust: Genug davon! Die Freiheit ist die Schmiede des Genies! Du wirst bald lernen, wie wichtig sie ist! Ich habe nur darauf gewartet, dass du zurückkehrst, um das Zepter weiterzugeben. Ich habe mich bewiesen, nun liegt es an dir! Gerne schaue ich dir zu, gerne berate ich dich, aber Großtochter, nun ist deine Zeit, dich zu beweisen!

 

Aria: Welch große Fußstapfen! Was für eine Herausforderung! Aber allein werde ich es nicht schaffen! Nur zusammen mit dir und deinem Wissen und mit den Menschen! Wenn wir alle zusammenhalten, all unsere Ideen einbringen, alle Interessen berücksichtigen, dann können wir das schaffen! So kann ich mir das vorstellen!

 

Dunkelfaust: Du weißt, was viele Köche anrichten! Du brauchst Tausend, eine Burg zu errichten, aber einen, der sie beherrscht! Fragst du Tausend nach ihrer Meinung, kommt nicht eine brauchbare Entscheidung heraus. Das Genie ist einsam in Erfolg und Niederlage. Niemand teilt deine Vision so kompromisslos wie du selbst. Niemand gönnt dir den Erfolg. Niemand steht zu dir, wenn du scheiterst! Du wirst das noch lernen! Herrschen bedeutet Einsamkeit!

 

Aria: Aber ich möchte gar nicht herrschen! Ich möchte mitteln[8]! 

 

Dunkelfaust: Das hat noch niemand gesagt, der am Ende erfolgreich war. Das Mittel ist der Durchschnitt. Das Genie lebt im Extrem. Nur dort ist der Sieg zu finden! [einlenkend] Aber vielleicht bin ich auch alt! Natürlich muss die Jugend ihre eigenen Erfahrungen machen! Von nun an beteilige ich dich an allen Entscheidungen, höre deine Gedanken und Vorschläge. Vielleicht hast du ja recht.

 

Aria: Ich bin dir so dankbar und mir natürlich der Verantwortung bewusst!

 

Dunkelfaust: Hörst du‘s? Der Drache hat sich ausgetobt. So schlimm war es doch gar nicht! Alles ist gut ausgegangen, uns geht’s noch gut, wir sind unversehrt! Es wird alles nicht so heiß gegessen, wie es aus dem heißen Topf kommt!

 

Vorhang.

 

 

 

Eine apokalyptische[9] Landschaft. Verkohlte Bäume, verbrannte Erde, eine schwarze Wüste nah an der Küste. Das Meer liegt still und friedlich im Hintergrund. Der Boden raucht. Das Trommeln ist zunächst noch dumpf zu hören und verklingt dann langsam. Sigurd und Gudrun gebückt. Sie husten immer wieder und kratzen sich von Zeit zu Zeit, als wären sie einer giftigen Substanz ausgesetzt. Sie tragen Tücher vor dem Mund, um sich zu schützen. Mit langen Stöcken stochern sie in der Asche.

 

Sigurd: [hustet] Unerträglich! Kann kaum atmen.

 

Gudrun: Gestern war hier noch unser Wald. Erinnerst du dich? Heute ist alles weg! Ich könnte heulen! Erinnerst du dich? Wie wir hier gespielt haben als Kinder? Hier war ein Teich, da hinten haben wir geangelt! Alles verkohlt, verbrannt, vernichtet!

 

Sigurd: [steht neben einem verkohlten Baumstumpf] Hier in diesen Apfelbaum haben wir unsere Namen eingeritzt!

 

Gudrun: Lange, nachdem wir tot und vergessen sind, werden unsere Namen noch da sein, haben wir damals gesagt.

 

Sigurd: Erst unsere Namen und bald…?

 

Gudrun: Es ist unfassbar. Ich fühle mich jetzt schon so, so, so alt, wenn ich sehe, wie alles um uns zerfällt!

 

Sigurd: Erinnerst du dich? Wir waren damals die Drachentöter! Aria, du und ich. Wir haben Abenteurer gespielt, wollten den Drachen töten! Mit Holzschwertern und Lanzen. Natürlich nur zum Spaß!

 

Gudrun: Du hast mich an den Baum gebunden. Erinnerst du dich auch daran?

 

Sigurd: Was? Nein! Würd ich nie machen! Ich erinnere mich nur, dass ich immer auf dich aufgepasst hab!

 

Gudrun: Du hast mich an den Baum gebunden und bist mit Aria abgehauen. Weil ich dich so genervt habe! Du wolltest immer mit ihr allein sein. Warst in sie richtig verknallt. Warst manchmal ein richtiger Halunke, großer Bruder!

 

Sigurd: Das kann nicht sein!

 

Gudrun: [lachend, was in einen Husten übergeht] Leugne es nicht! War einfach so. Hast mich einfach hier allein gelassen.

 

Sigurd: Würd ich nie machen!

 

Gudrun: Ich habe mir die Seele rausgeheult als kleines Mädchen. Weil ich Angst hatte, dass mich niemand retten und ich da verhungern würde oder die Krähen mir die Augen aushacken würden!

 

Sigurd: Hätte ich nie zugelassen. Du hast so eine blühende Fantasie!

 

Gudrun: Sie ist wieder da. Aria.

 

Sigurd: Habe ich gehört.

 

Gudrun: Du solltest sie besuchen. Sie sprüht vor Enthusiasmus und will die Welt verändern. Wird dir gefallen!

 

Sigurd: Das ist gut, sie gehört verändert! [zeigt auf die Aschewüste] Aber nicht so! Sondern im Guten! Vielleicht müssen wir wirklich den Drachen töten! Nicht nur zum Spaß!

 

Gudrun: Du machst Witze, das wird nie passieren.

 

Kreischendes Geräusch in der Ferne. Die beiden schauen besorgt hoch, als würden sie etwas in der Luft verfolgen. Das Trommeln setzt wieder ein.

 

Gudrun: Hier blüht jedenfalls nichts mehr und wird es in tausend Jahren nicht mehr. Bald wird es überall so aussehen. Bald werden wir auch so äschern sein wie unser Apfelbaum.

 

Sigurd: [verfolgt immer noch mit seinen Augen den Himmel] Wir sollten uns beeilen. Er ist immer noch wütend!

 

Gudrun: Du weißt, warum wir hier sind! [stochert weiter mit ihrem Stock in der Asche herum] Von dem lass ich mich nicht einschüchtern!

 

Sigurd: Werde nicht zu gierig!

 

Gudrun: Ich bin nicht gierig. Ich bin hungrig! Nein, ich bin es satt! Ich ertrag es einfach nicht mehr! So kann doch keiner leben!

 

Sigurd: Wir werden was ändern!

 

Gudrun: Was willst du denn machen? Du bist wie Aria! Immer nur Worte. Alles nur Worte. Niemand handelt. Wir sind so damit beschäftigt zu reden, dass unsere Lippen spröde werden wie die Einöde hier! Wir können nichts machen! Die sind doch alle zufrieden, wie es ist! Es ist ja nicht nur der Drache. Es ist die ganze vergreiste Welt!

 

Sigurd: Wir müssen kämpfen! Mit allen Mitteln! Wir sind jung, wir schaffen das!

 

Gudrun: Ach, großer Bruder, du Drachentöter! Kämpfen! Das ist nicht meins. Ich will nicht kämpfen, ich will leben! Ich will weg! Ich bin zu jung für das hier! Ich bin jung wie die Frühlingsblumen, wie das Vergissmeinnicht unter weißen Wolken. Ich bin grün wie die Hoffnung. Sieh es dir doch an! [zeigt kurz ins Publikum] Grau und kohlefarben! Eine vergangene Welt für Alte und Gewesene. Es ist die Welt, die sie verdient haben! Sie haben sie ja gemacht.

 

Sigurd: Wo willst du denn hin? In die Richtung ist tausend Kilometer Meer und in die und in die und in die Richtung auch!

 

Gudrun: Mach dir mal keine Sorgen, Brüderchen. Ich habe einen Plan!

 

Sigurd: Doch, ich mache mir Sorgen! Viele sogar! Deswegen kämpfe ich ja! Für dich, für mich, für uns! Für den Smaragd der Ozeane!

 

Gudrun: Smaragd der Ozeane! So nennen wir uns! Was für ein Witz! Ein giftiger Klumpen, mehr nicht!

 

Sigurd: Aber so muss es ja nicht bleiben!

 

Gudrun: Nein, ich muss nicht bleiben! Mach dir nichts vor!

 

Sie greift in die Asche, hebt ihre Hand und zwischen ihren Fingern verrinnt der schwarze Staub.

 

 Gudrun: Deshalb muss ich hier weg!

 

Sigurd: Wie willst du denn weg? Der Rest der Welt ist so weit entfernt wie die Sterne im Himmel. Unerreichbar!

 

Gudrun: Ich besteche einen Matrosen vom Schoner[10], der in den nächsten Tagen einlaufen soll! Der schmuggelt mich auf sein Schiff, und ich segele ab in die Freiheit! Ich muss nur noch reich genug werden! 

 

Sie stochert weiter in der Kohle herum und sucht.

 

Sigurd: Das ist kein Plan, das ist eine Fantasie! Da kannst du genauso gut zu den Sternen wollen! Die kannst du von hier wenigstens sehen!

 

Gudrun: Alles ist besser als das hier! Selbst das Risiko. Selbst die Aussicht auf den Tod ist besser. Denn hier ist er uns sicher. Alles ist besser, wo kein Drache haust!

 

Sigurd: Wo kein Drache ist, ist was anderes. Warum wartest du nicht noch? Jetzt ist Aria da! Du sagst, sie will was ändern! Lass es uns versuchen. Wir brauchen dich! Wir brauchen jeden gegen das hier!

 

Gudrun: [lacht] Du wirfst mir eine blühende Fantasie vor? Du bist verrückt!

 

Sigurd: Ich habe einen Plan! Wir finden Verbündete! Niemand will das hier! Niemand! Auch nicht die Insulaner.

 

Gudrun: Täusch dich da mal nicht! So unbeweglich wie ihre porösen Knochen sind auch ihre Gedanken! Die wirst du nicht bewegen!

 

Sigurd: Schwester, unterschätz nicht meine Entschlossenheit! Zur Not nehme ich es mit dem Schicksal ganz alleine auf! Warte nur ab!

 

Gudrun: Ich bin zu jung zum Warten! Untätig zu warten ist schlimmer als unüberlegt zu handeln!

 

Sigurd: Was du vorhast, ist ein Himmelfahrtskommando[11]!

 

Gudrun: [aufgeregt] Hey, was ist das?

 

Sie sieht etwas glitzern im Dreck, stochert danach und zieht es heraus. Es ist eine schwarze Platte, die ölig schimmert.

 

Gudrun: Oh mein Gott! Das bringt mich dem Himmel schon viel näher! Ich habe eine!

 

Sie nimmt ein Tuch heraus und greift die Platte zaghaft, als würde das Berühren ihre Hände verletzen.

 

Sigurd: Vorsichtig! Verletz dich nicht! Lass mal sehen! Einigermaßen groß, nicht verkratzt! Nicht die beste Drachenschuppe, aber auch nicht zu verachten!

 

Gudrun: Genau, immerhin!

 

Sigurd: Glückwunsch! Damit kommst du aber noch lange nicht auf ein Schiff!

 

Gudrun: Warte, bis ich das Ding poliert und geschliffen hab! Noch ein paar davon, und ich bin reich!

 

Sigurd: Wenn einer mitkriegt, dass du deine eigenen Geschäfte damit machst, kriegst du aber mächtigen Ärger! Die Drachenschuppen musst du an Dunkelfaust verkaufen. So sind die Regeln!

 

Gudrun: Für einen Drachentöter bist du aber sehr gehorsam! Und wer sollte mich verpetzen, großer Bruder? Du?

 

Sigurd: Da kommt jemand! Schnell, wir verschwinden!

 

Gudrun wickelt die Scheibe in ein Tuch und versteckt sie unter ihrem Rock.

 

Die beiden ab.

 

 

 

Der Bauer und der Fischer stolpern durch den verkohlten Wald. Sie husten und halten sich Tücher vor ihr Gesicht.

 

Bauer: Schon wieder solch ein Schicksalsschlag! Wie kann das Pech uns nur so verfolgen?

 

Fischer: Wird immer schlimmer, früher war’s besser! Aber was weg ist, ist weg!

 

Bauer: Immer trifft uns das Pech! Kann doch nicht sein! Früher hat er mal ein paar Bäume umgeknickt. Es war ärgerlich, aber na gut! Nun brennt er einfach ganze Wälder nieder. Warum immer unsere?

 

Fischer: Er wird erwachsen. Da machst du nichts dran! Das ist halt die Natur!

 

Bauer: Ja, das Schicksal ist grausam! Einfach eine höhere Macht! Niemand besiegt einen Drachen!

 

Fischer: [betrachtet den verkohlten Stamm, vor dem Gudrun und Sigurd in der vorherigen Szene gestanden haben]. Die Bäume waren schon an uns verkauft. Neue Schiffe sollten daraus werden! [zeigt auf den Baumstumpf]. Aus dem hier, groß und gerade gewachsen der Mast eines stolzen Luggers[12]! Wir hatten schon so viele Pläne, wenn ich durch den Wald ging, sah ich schon die Schiffe! Das Ungeheuer hat unsere zukünftige Flotte vernichtet! 

 

Bauer: Alles Asche!

 

Fischer: Und Asche schwimmt nicht!

 

Bauer: Schlimm, was das Schicksal mit uns macht!

 

Auftritt Schuppenschleifer. Er schleppt einen schweren Sack über dem Rücken, darin klappert es laut und dissonant.

 

Bauer: [spöttisch] Ach, der feine Herr Schuppenschleifer!

 

Schuppenschleifer: Guten Tag Bauer, guten Tag Fischer! [schaut sich um] Ein schöner Schlamassel!

 

Fischer: Schlamassel? Machst du dich über uns lustig? Das ist mehr als ein Schlamassel! Das ist eine Katastrophe!

 

Bauer: Das Schwarz müsste doch golden für dich sein. Machst du nicht deinen Reibach[13]?

 

Schuppenschleifer: Reibach? [hustet trocken] Ich mach mir nur die Hände kaputt! Es ist ein Teufelszeug. Im wahrsten Sinne des Wortes! Es verätzt unsere Hände, wenn wir sie schleifen, vergiftet unsere Lungen! [zeigt seine bandagierten Hände] Nichts will ich mit dem Zeug zu tun haben.

 

Bauer: Aber du machst einen schönen Gewinn damit!

 

Schuppenschleifer: Schönen Gewinn? [verächtlich] Pah! Das reicht gerade so zum Leben. So ein Bauer oder ein Fischer, der bringt ein hübscheres Sümmchen nachhause, bilde ich mir ein!

 

Bauer: Sieh dich mal um! Was könnte ich dir denn anbieten? Staub habe ich genug zu verkaufen, brauchst du welchen?

 

Fischer: Und Fische gibt’s schon lange nicht mehr! Wir haben ja nicht mal mehr Boote, um rauszufahren.

 

Schuppenschleifer: [zuckt mit den Schultern] Der feine Herr Dunkelfaust macht den Reibach. Wir kriegen, was ihm vom Teller fällt. Krumen.

 

Bauer: Wenn die Krumen groß genug wären, könnten wir sogar davon leben! Immerhin sein Drache, sein Gewinn.

 

Schuppenschleifer: Sein Gewinn, unser Schaden, würde ich sagen. Wir zahlen, was der Drache klein haut.

 

Fischer: Was willst du machen? So ist die Welt!

 

Schuppenschleifer: Vielleicht stimmt was nicht mit der Welt!

 

Fischer:  Die Welt ist, wie sie ist! Die war schon immer so. Da ändert sich nichts dran!

 

Alle drei nicken. Pause.

 

Bauer: Trotzdem, der Schuppenschleifer hat recht! So kann es nicht weitergehen! Bei allem Recht, das Dunkelfaust hat. Er kann uns nicht auf unserem Schaden sitzen lassen. Der feine Herr soll wissen, wie es ist! Aus seinem Palast sieht er unsere Not nicht! Der Luxus verstellt ihm die Sicht auf unser Leid.

 

Schuppenschleifer: Dann lasst uns zu ihm gehen! Wir werden ihm zeigen, was er aus seinem Palast nicht sieht!

 

Bauer: Ja, lasst es uns versuchen!

 

Fischer: Reden hat noch nie geschadet!

 

Alle drei ab.

 

Vorhang.

 

 

 

Der Seemann am Meer. Im Hintergrund die verkohlte Landschaft. Er ist eigentlich ein idyllisches Ufer, aber überall liegt angeschwemmter Müll. Er spricht mit sich selbst.

 

Seemann: Kranke Welt, vergiftet, gallig, grausam. Im Wald dort hinten hat die Megäre[14] ein Meer des Rauchs geschaffen. Aber auch hier am Ufer, wo ich zuhause bin, wo’s ruhiger und viel klarer ist, da sind die Dinge aus dem Lot. Alles ist schief aus allen Winkeln. Wie Säufer wanken wir umher und beugen und verbiegen uns, um alles wieder grad zu machen, was uns schief vorkommt, dabei taumeln wir torkelnd, stammeln stockend und irren fallierend[15].

 

Er geht den Strand entlang. Immer wieder hebt der Seemann etwas Müll auf, begutachtet ihn. Wenn er etwas gebrauchen kann, dann packt er es in eine große Plastiktasche, ansonsten legt er es vorsichtig zurück.

 

Seemann: Lass mal suchen, lass mal finden! So viel Zeug, so viel Müll! Schau mal an, schau mal her! [findet eine Kokosnuss] Diese Frucht habe ich schon mal gesehen. Lecker war sie, lecker! Tausende Tage her und Tausende Kilometer entfernt, hat es jemand ins Meer geworfen, und es hat seinen Weg zu uns gefunden. Früher segelten wir zu den Dingen, heute besuchen sie uns. Die fremde Welt kommt zu uns, auch wenn wir sie nicht eingeladen haben, und bürdet uns ihre Sünden auf, [schaut zum Rauch] und wir ihr unsere? Niemand hat den anderen zu beschuldigen, keiner ist ohne Schuld. An jedem Ende der Welt sind wir vereint in unseren Sünden.

 

Auftritt Aria.

 

Aria: Hallo, lieber Seemann! Erinnerst du dich an mich? Ich bin’s Aria!

 

Seemann: [erfreut] Die Großtochter vom alten Dunkelfaust! Zurück aus der weiten Welt?

 

Aria: Du bist noch unter uns? Wie habe ich dich vermisst, und auf dem Meer, den vielen Wochen auf dem Schiff, auf meinem Weg zurück hierher musste oft ich an dich denken!

 

Sie umarmen sich.

 

Aria: Du ziehst dem Meer das Land nun vor?

 

Seemann: Es ist mehr ein Zurückziehen in meinen letzten Tagen.

 

Aria: Du sprichst in Rätseln.

 

Seemann: Ein alter Narr mit alten Worten bläst seinen Unsinn mit Rätseln auf, um klüger zu klingen als der Geist noch garantiert.

 

Aria: So alt bist du doch nicht, und hinter deinen Worten höre ich mehr Weisheit als Unsinn!

 

Seemann: [hebt etwas Müll auf, inspiziert ihn und steckt ihn in die Tasche] Zu viel Unrat, aber wenn man schaut, dann findet man. Und was man gefunden hat, kann man vielleicht gebrauchen und zu Neuem formen.

 

Er holt aus seiner Jackentasche eine kleine Figur einer Tänzerin, die er aus Müll sehr kunstvoll gebastelt hat, und gibt sie Aria.

 

Seemann: Für die liebe Herrin! Aus dem angeschwemmten Unrat kann man hier und da noch etwas zaubern. Auch auf dem Unrat kann noch Hoffnung wachsen. Meine Augen lassen nach, und meine Finger werden steif, aber als Seefahrer auf fernen Ozeanen hat man viel Zeit, genug, um ein kleines Talent zu entwickeln!

 

Aria: [entzückt] Herrin bin ich nicht, aber vielen, vielen Dank! Ich werde einen schönen Ort dafür finden! Hast du mal überlegt, sie zu verkaufen? Deine kleinen Figuren? Du bist ein richtiger Künstler!

 

Seemann: Bin ein alter Mann, der zu lange auf zu vielen Schiffen zu viel Zeit gehabt und sich was beigebracht hat. Aber nicht alles muss zu Geld gemacht werden. Nicht alles ist ein Geschäft. Deine Freude ist auch eine hübsche Münze!

 

Aria: Na gut! Aber du hast recht, so viel Unrat! So viele Probleme! So viel gibt’s zu tun! Es ist eine Schande und auch eine Chance!

 

Seemann: Jetzt liegt es an der Erbin, was Neues zu formen.

 

Aria: [lacht] Was hab ich denn geerbt? Hab ich was verpasst?

 

Seemann: Du wirst es, du wirst es! All das wird einmal dir sein! Die ganze Insel, der Smaragd des Ozeans… mit all dem Unrat und natürlich dem Drachen. Du erbst das Land, aber auch die Bürde.

 

Aria: Möchte nicht herrschen! Ich möchte zusammen mit allen Lösungen finden!

 

Seemann: Dein Großpapa und ich teilen ein Alter, das eine dicke Schwarte[16] voller Vergangenheit gefüllt hat, aber nur noch wenige leere Seiten für die Zukunft lässt! Deine Chronik[17] ist noch unbeschrieben! Viele Seiten, die darauf warten, dass deine Heldentaten darin verewigt werden! 

 

Aria: Ich hoffe, der alte Dunkelfaust wird uns noch lange erhalten bleiben, genau wie du, sein lieber Weggefährte! Aber ich bin mir sicher, dass ich in neun Leben nicht so viele Heldentaten erleben werde, wie ihr das habt! Allein, wie ihr das Drachenei errungen habt! Die Geschichte habe ich unzählige Male gehört! Ich erinnere mich, wie Großvater mir als kleines Mädchen eure Geschichten, eure Heldentat erzählt hat! Immer und immer wieder musste er sie wiederholen, weil ich einfach nicht genug bekommen konnte! Aber die Zeit für Helden ist nun vorbei. Jetzt brauchen wir Köpfchen und Verstand.

 

Seemann: Ich bin mir nicht sicher, dass die Köpfe, mit denen du es zu tun haben wirst, nicht zu hart sind für deine weichen Worte und den scharfen Verstand.

 

Aria: Ich bin da gut gestimmt. Das hier kann es ja nicht sein! Wir schaffen das!

 

Seemann: Ein sturer Kopf ist härter als jeder Diamant der Weisheit. Du wirst dir noch die Zähne daran ausbeißen!

 

Aria: Wir werden sehen!

 

Der Seemann schaut in die Entfernung, dreht sich um und wandert ohne ein weiteres Wort von der Bühne. Aria schaut ihm nach.

 

Aria: Ein wunderlicher Kauz! Ich hoffe, dass er mir noch lange erhalten bleibt!

 

Vorhang.

 

. Akt


Gudrun und Sigurd in der verkohlten Landschaft. Aria von der anderen Seite. Aria und Sigurd sehen einander, laufen aufeinander zu und umarmen sich lange und inniglicher, als Freunde das würden. Man merkt, dass sie sich etwas bedeuten.

Aria: Wie habe ich dich vermisst!

Sigurd: Und ich dich!

Aria: Wir sind wieder vereint! So oft in meinen Gedanken in der Ferne habt ihr mich getröstet, wenn ich in meiner Einsamkeit - weit, weit in der Ferne - an euch gedacht habe, nun wird es endlich wahr. Nun sind wir endlich wieder vereint!

Gudrun: In einer verbrannten, untergegangenen Welt!

Sigurd: [bitter] Sie geht mittlerweile fast jeden Tag unter! Jeden Tag neue Katastrophen. Jeden Tag mehr Untergang!

Gudrun: Trotzdem geht die Sonne in der Ferne jeden Tag wieder neu auf.

Sigurd: Aber jeden Tag trauriger!

Aria: Was macht ihr hier? Gudrun ist mir einfach abgehauen! Und das während der größten Gefahr!

Gudrun: Wir suchen.

Aria: Was denn?

Sigurd: Unsere Erinnerungen [zeigt auf den Baumstumpf]. Was davon übrig ist.

Gudrun: Die Zukunft kann er uns nehmen, aber die Erinnerungen gehören uns.

Aria: Wir haben hier als Kinder gespielt.

Gudrun: Hier spielen auf Hundert Jahre keine Kinder mehr!

Aria: Großpapa hat mir in Aussicht gestellt, die Dinge zu verändern. Zusammen mit ihm und euch werden wir es schaffen!

Sigurd: Dein Großvater hat uns das alles eingebrockt! Der wird keine Lösung sein.

Aria: Großpapa arbeitet unermüdlich.

Sigurd: An seinem Reichtum arbeitet er. Und wir auch. Wir suchen in der Asche unserer Heimat für ihn nach Drachenschuppen und stochern in Drachenscheiße nach schwarzem Glasstein! Sieh dich uns an! Zerschnitten und verätzt! Das Monster selbst ist pures Gift! Und wir verkaufen es deinem Großvater für wenige Groschen[18], und er macht sinnlosen Tand daraus und verkauft ihn für tonnenweise Gold!

 

Aria: Du bist ungerecht! Uns geht es allen besser! Zugegeben, manchen mehr als anderen. Aber das wird sich ändern! Er hat nur das Beste im Sinn!

 

Sigurd: Das Beste für ihn ist nicht das Beste für uns! Es ist nicht nur das Drachengift, das brodelt. Im Dorf brodelt’s auch! Wie der Feuersturm über uns hereinbricht, wird ein anderer über deinen Großpapa brechen. Vertrau mir! Die Menschen sind unzufrieden, so kann es nicht weitergehen!

 

Aria: Die Menschen sind so undankbar! Sie sollen sich daran erinnern, wie sie zuvor gehaust haben. Nun sind die Straßen gepflastert, wir leisten uns köstlichste Kolonialwaren[19] aus den fernsten Ländern! [zu Gudrun] Wie siehst du das?

 

Gudrun: Hoffentlich bald aus der Ferne!

 

Aria: Was meinst du?

 

Sigurd: Sie will fliehen.

 

Aria: Fliehen? Wovor willst du denn fliehen? Unsere schöne Insel ist doch kein Kerker!

 

Gudrun: Sieh es dir doch an! Wo ist hier Schönheit? Schönheit ist Vergangenheit. Ich sehne mich nach der in der Zukunft, aber die ist in der Ferne!

 

Aria: Du willst uns wirklich verlassen?

 

Gudrun: Welche Zukunft habe ich hier?

 

Aria: Lass es uns doch erst versuchen! [zu Gudrun] Versprich mir, nicht alles wegzuwerfen und dein Leben nicht zu riskieren, bevor wir es im Guten versucht haben!

 

Gudrun: [einlenkend] Vielleicht…

 

Aria: [zu Sigurd] Du musst ihr das ausreden! Weißt du, wie gefährlich das ist? Sie allein auf ein Schiff zu lassen, das ins Ungewisse fährt? Weißt du, was ihr alles zustoßen kann? Die See ist gefährlich, Seeleute auf einer langen Fahrt sind unangenehme Gesellen! Die Welt ist gefährlich! Es gibt Tausend Risiken! Ich habe sie gesehen, und ich hatte Privilegien! Als Flüchtende wäre sie vollkommen schutzlos dem Bösen ausgeliefert!

 

Gudrun: Tausend Risiken auf der Flucht, ich glaub dir das! Hier gibt es nur ein Risiko. Aber es ist tausendmal gefährlicher! Die Ferne verspricht mir einen Traum. Hier ist mir nur der Tod versprochen!

 

Aria: [schüttelt den Kopf, zu Sigurd] Ich kann nicht glauben, dass du sie dabei unterstützt.

 

Sigurd: Ich unterstütze sie nicht. Ich kann sie aber verstehen.

 

Aria: Großpapa wird alles richten, und wenn nicht, tue ich es!

 

Sigurd: Der Alte wird noch lange nicht abtreten! Solange er da ist, wird er an den wenigen verbliebenen Tagen kleben! Wenn du ein Morgen willst, dann musst du heute aufbegehren! Dann muss der Drache weg! Besser heute als morgen!

 

Aria: Du willst die Revolution! Du willst den Drachen töten?

 

Sigurd: Den Drachen mindestens!

 

Aria: [entsetzt] Mindestens? Ja was denn noch?

 

Sigurd: Das Monster ist doch nur ein Symbol. Es ist einfach überall und in uns allen. Wir selbst sind das Ungetüm! Aber als erstes muss der Drache weg. Jeden Tag beobachte ich ihn, wie einen guten Freund. Ich kenne seine Macht, aber mich interessiert seine Schwäche. Jeden Tag komme ich ihr mehr auf die Spur. Er wächst, wird größer und mächtiger, aber er wird auch verwundbarer, je mehr ich über ihn weiß, desto schwächer ist er!

 

Aria: Du willst ihn wirklich töten? Als wärst du noch ein kleiner Junge? Das ist doch Aberwitz[20]! [zu Gudrun] Gudrun, du musst davon abhalten!

 

Gudrun: Ich habe keine Meinung mehr. Ich hab mit dem hier abgeschlossen!

 

Aria: Ich hatte so auf euch gehofft. Was ist mit euch geschehen? Wie habt ihr euch beide verändert?

 

Sigurd: Das Gift des Drachens ist uns ins Blut übergegangen. Du wirst sehen, dass die ganze Insel damit durchdrungen ist! Die Dinge sind nicht mehr so, wie du sie verlassen hast.

 

Vorhang.

 


 

Dunkelfaust in seinem Palast. Es ist eine Mischung aus einer riesigen Bibliothek und einer Werkstatt mit unzähligen Büchern und chemischen Armaturen, wie sie ein altmodischer Erfinder hat. Auf einem Regal stehen repräsentativ riesige Drachenzähne und schwarz ölig schimmernde Drachenschuppen als Wandschmuck sowie Medaillen und Schmuckketten aus ähnlichem Material. Am Fenster steht ein großes Teleskop. Dunkelfaust sitzt über allerlei Dokumente gebeugt. Manchmal hält er sich ein Taschentuch vor die Nase und fächert sich Luft zu. Auftritt Kupferstift mit einigen Akten.

 

Kupferstift: Hier sind wie gewünscht die letzten Zahlen der Schuppenschleifer und der Polierer.

 

Dunkelfaust: Wie sieht es aus?

 

Kupferstift: Es sieht sehr gut aus. Wir haben noch nie so viel produziert und auch in einer Qualität, die wir noch nie gesehen haben!

 

Dunkelfaust: Was machen die Arbeiter?

 

Kupferstift: Wir stellen mehr und mehr ein! Aber sie wollen auch mehr Lohn. Sie meinen, die Arbeit sei zu gefährlich.

 

Dunkelfaust: Dann verkaufen wir ihnen Schutzkleidung. Lass sie anfertigen, aber mach sie nicht zu teuer! Sagen wir den dreifachen Einkaufspreis. Und lass sie wissen, dass wir uns um ihre Gesundheit sorgen.  

 

Kupferstift: Jawohl, Herr. Außerdem…?

 

Dunkelfaust: Was denn noch?

 

Kupferstift: Der Fischer beschwert sich, dass er ihre Schiffe zertrümmert und das Holz auf der Insel knapp wird. Der Bauer, dass seine Äcker zerstört und das Vieh gefressen wird.

 

Dunkelfaust: Die verstehen einfach nicht, dass sich die Zeiten geändert haben! Holz, Korn, Fische, Vieh? Wofür brauchen wir Holz, wenn wir uns gleich Fischerboote kaufen können! Aber wofür brauchen wir Fischerboote, wenn wir gleich allen Fisch der Welt kaufen können? Den köstlichsten und rarsten! Die Dummen haben immer noch nicht verstanden! Die Kosten steigen linear, die Gewinne dagegen exponentiell! Weißt du, was das heißt? Wir haben ihn lange großgezogen und nicht viel von ihm zurückbekommen. Jetzt ist die Zeit der Ernte! Sag ihnen das! Nein, warte. Ich rede selbst mit ihnen! Bring sie her, ich gewähre ihnen Audienz!

 

Kupferstift: Natürlich!

 

Dunkelfaust: Genug von diesen Lappalien! [studiert ein Dokument] 70% mehr Drachenschuppen, die auch noch im Durchschnitt 20% größer geworden sind, zehn Zähne und fast eine Tonne Obsidian[21]. 

 

Kupferstift: Wer hätte gedacht, dass man einen Drachen großziehen und sich daran gütlich tun kann? Sie sind solch ein Genie!

 

Dunkelfaust: Die Ausgaben steigen auch, das gebe ich zu. Die Kollateralschäden steigen stärker als kalkuliert. Aber wer einen Drachen reitet, darf sich vor ein paar Brandblasen nicht fürchten.

 

Kupferstift: Ihre Visionen sind einfach unerreicht!

 

Dunkelfaust: Genug der Schmeichelei! Schließ das Fenster! Der Gestank ist schwer zu ertragen. Ein Problem, das es auf jeden Fall zu lösen gilt! Es stinkt bestialisch! Das kann so nicht weitergehen! Ich mache mir Gedanken, denn mit dem Gestank von Schwefel und verbrannter Erde kann niemand leben.

 

Kupferstift ab.

 

Dunkelfaust beugt sich über seine Zeichnungen.

 

 

 

Aria kommt zu ihrem Großvater in die Bibliothek.

 

Aria: Ich muss mit dir reden! Es ist wichtig. Der Drache!

 

Dunkelfaust: Ich weiß! Ich weiß! Und ich bin schon dran! Der Gestank ist unerträglich! Der muss weg, das gebe ich gerne zu und mache mich daran!

 

Aria: Nein, du verstehst nicht! Er ist außer Rand und Band!

 

Dunkelfaust: Ganz ruhig, meine Liebe! Noch bist du nicht bereit, aber bald, sehr bald. Lass mich dir eine kleine Lehre geben: Die Dinge sind nie so dringend, wie sie scheinen. Warte nur ab! Deine Zeit kommt schon noch! Ich werde mit dir regieren, aber nicht in dieser Sache. Die Menschen beschweren sich über den Drachen. Aber meinst du wirklich, sie wollen ohne ihn leben? Natürlich transformiert er, und die Dummen glauben, dass er zerstört. Aber die Transformation ist die Zukunft, und das müssen sie erst begreifen! Ich werfe es den guten Menschen mit ihren einfachen Gemütern nicht vor, aber sie durchschauen nicht alles. Wie sollten sie auch? Sie haben halt nicht den Verstand!

 

Aria: Aber so kann es nicht weitergehen! Er zerstört unsere Insel!

 

Dunkelfaust: Werde bitte nicht hysterisch, und lass dich nicht von ihnen anstecken! Er nimmt sich etwas von der Insel und dafür gibt er umso mehr. Wie die Ziege, die Gras frisst und dafür Milch gibt, aus der wir den köstlichsten Käse machen!

 

Aria: Ich weiß nicht.

 

Dunkelfaust: Siehst du, es fehlt dir einfach an Erfahrung und Vorstellung! Ich werfe dir das nicht vor! Aber genug davon! Ich brauche jetzt deine Hilfe!

 

Aria: Wie kann ich dir helfen? Mit der Drachenfrage? Meinst du, wir können ihn in Ketten legen? Oder in seiner Höhle einsperren? Wir müssen ihm Einhalt gebieten, solange wir es noch können! Bald wird er einfach zu gewaltig sein, als dass wir etwas gegen ihn ausrichten könnten!

 

Dunkelfaust: Ich stimme dir in allem zu, und wir werden ihm seine Grenzen zeigen! Aber erst brauch ich deine Expertise für etwas anderes!

 

Aria: [eifrig] Womit kann ich dir behilflich sein? Die Insel und ihr Wohl ist mir wichtiger als alles!

 

Dunkelfaust: Dein Eifer ehrt dich und ich kann ihn gut nutzen! Hilfst du mir, das große jährliche Fest zu planen? Niemand hat so einen guten Geschmack wie du!

 

Aria: [überrascht] Oh…

 

Dunkelfaust: Sei nicht enttäuscht. Die Menschen sind aufgebracht. Sie brauchen Abwechslung. Sie haben hart gearbeitet und sind erschöpft. Sie haben sich die jährliche Feier verdient! Die zu planen, ist Aufgabe einer zukünftigen Herrscherin! Und dann, wenn sich alle beruhigt haben, gehen wir das Problem des Drachens an! Er ist einfach Neuland, da dürfen wir nichts übers Knie brechen!

 

Aria: [enttäuscht] Vermutlich liegst du richtig.

 

Dunkelfaust: So gefällst du mir besser! Jetzt zeigst du deine Verantwortung für die Insel!

 

Aria: Wenn du meinst…

 

Dunkelfaust: Ich dachte an ein Festmahl mit Köstlichkeiten aus aller Welt. Aus all den Ländern, mit denen wir handeln! So können sie noch mehr Stolz auf unseren Smaragd des Ozeans empfinden! Einmal im Jahr sollen sie sich gut fühlen!

 

Aria: [etwas unglücklich, aber widmet sich der Aufgabe] Ja, das würde ihnen gefallen. Meinst du, wir können die Konditoren bitten, kleine Teigsüßigkeiten in der Form unserer Insel zu backen?

 

Dunkelfaust: Was für eine großartige Idee!

 

Aria: Wein und Liköre aus allen Ländern der Welt, wäre das eine Idee?

 

Dunkelfaust: Wundervoll!

 

Aria: Was mir noch so durch den Kopf geht. Der Drache dominiert den Himmel und schwebt immer über uns. Mit einem großen Feuerwerk könnten wir zeigen, dass der Himmel uns gehört. Wie findest du das?

 

Dunkelfaust: Teuer, sicher teuer, aber großartig, definitiv großartig! Für diesen Abend sollte uns nichts zu kostbar sein! Du weißt gar nicht, welche Bedeutung solch eine Feier für die Gemeinschaft hat!

 

Aria: Ja, das kann ich mir denken. Meinst du, wir können dann auch bald über die großen Probleme sprechen?

 

Dunkelfaust: Sicher, Kindchen, ganz sicher, und jetzt geh und mach dich an die Planung!

 

Aria: Danke, Großpapa!

 

Aria geht ab, bleibt aber noch einmal stehen.

 

Aria: [beiseite] Was war das? Was ist hier gerade geschehen? Er hat mir versprochen, mich einzubeziehen, aber gemeint hat er eine dämliche Party? So habe ich mir das nicht vorgestellt! Er wollte meine Hilfe und macht mich zu seiner Marionette. Von wegen, er sucht meinen Rat! Sein Rat betört die Tumben, und so tumb[22] glaubt er, dass ich bin, wenn er mich so abspeist. Ist mein Rat so wenig wert? 

 

Aria ab.

 

 

 

Dunkelfaust in seiner Bibliothek.

 

Dunkelfaust: Ich mag sie sehr. Sie hat Tatendrang und Esprit. Sie ist meinungsstark und entschlossen. Sie hat ein gutes Herz und Empathie[23]! Alles wundervolle Eigenschaften in einem Menschen, und ich könnte nicht stolzer auf sie sein! Dennoch… Sie ist so dramatisch und ängstlich! Erfahrung hätte sie gelehrt, dass nichts so gefährlich ist, wie es scheint! Dass Angst die größte Gefahr für den Fortschritt ist! Natürlich ist der Lindwurm[24] mächtig, aber Ideen sind es noch mehr, und egal wie heiß sein Feuer ist, der kühle Kopf wird es besiegen. Panik aber ist die letzte Zuflucht der Kopflosen! Doch woher soll sie das wissen? Sie ist jung und naiv, denkt nur an sich und ihre kleine Welt, aber nicht an das Große und Ganze. Es geht halt um mehr als die Insel. Es ist das Privileg der Jugend, meinungsstark zu sein! Aber es ist auch kindlich, wenn sie nur an die kleinen Menschen denkt, aber nicht an das große Vermächtnis. Niemand hat je zuvor einen Drachen bezwungen. Dies ist der Beginn eines vollkommen neuen Geschäftsfelds! Eine Vision für die Zukunft! Schaffe ich es, diesen Drachen zu zähmen, was ist noch alles möglich? Ich werfe ihr ihre naive Philanthropie[25] nicht vor. Aber sie muss auch die Zusammenhänge verstehen!

 

Dunkelfaust: Doch nun an meine nächste Herausforderung!

 

Er geht an eine große Tafel und beginnt zu zeichnen.

 


 

. Akt

 

Die Bibliothek. An einer großen Tafel steht Dunkelfaust vor der angedeuteten Skizze eines Ventilators, der mit dem Fuß angetrieben wird und Luft umwälzt. Man erkennt, dass dieser Ventilator den Schwefelgestank vertreiben soll. Großes Geschrei. Erst ganz leise, aber immer präsent, auch wenn es von den Handlungen auf der Bühne übertönt wird, das Trommeln des Drachens. Auftritt Kupferstift durch eine Tür. Als er hineinkommt, schwillt das Geschrei an, er schließt die Tür hinter sich mit Mühe.

Kupferstift: Herr, ich habe die Arbeiter eingeladen. Ich fürchte aber, nicht nur sie sind gekommen, sie haben auch ihre Wut mitgebracht!

Dunkelfaust: Lass sie rein! Ich nehme es mit ihnen auf! So ein eloquentes Scharmützel trainiert den Geist!

Kupferstift öffnet die Tür, an ihm vorbei stürmen wütend herein: Der Fischer, der Schuppenschleifer, der Bauer. Dazu im Hintergrund bleiben Gudrun, Aria und Sigurd.

Schuppenschleifer: So kann’s nicht weitergehen!

Fischer: Dein Drache zertrümmert unsere Boote!

Schuppenschleifer: Das Schleifen der Schuppen vergiftet unsere Lungen und sie verätzen unsere Hände! Meine Leute werden krank!

Bauer: Er frisst unser Vieh und vernichtet unsere Ernten!

Fischer: Dein Monster vergiftet das Meer! Das Meer ist leergefressen!

Schuppenschleifer: Es ist eine unwürdige Drecksarbeit!

Alle drei gleichzeitig, aber nicht zusammen: So kann es nicht weitergehen! Es reicht!

Dunkelfaust hört ihnen ruhig, aber ungeduldig zu, dann ruft er sie mit einer Handbewegung zur Ruhe.

Dunkelfaust: Meine Freunde, meine geschätzten Freunde, meine geliebten Freunde! Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen manche Mauern! Andere bauen Windmühlen! Wir müssen das als Zeichen sehen und die Veränderung für uns nutzen! Wir können es schaffen! Ich höre eure Klagen! Alles, was ihr beklagt, habe ich schon wahrgenommen, denn ich sorge mich um euch, wie ihr euch, da bin ich mir sicher, um mich! Ich leide mit euch mit! Und ich gebe euch recht. Ihr nennt ihn meinen Drachen, aber es ist unserer!

Schuppenschleifer: Warum profitierst dann nur du und wir leiden? Wenn du einer von uns bist, warum bist du dann reich und wir sind arm?

Dunkelfaust: Sei nicht unfair! Ich bin einer von euch, das kannst du nicht leugnen! Und ich bin großzügig, wie ihr verständnisvoll seid! Ich bin nur einer, ihr seid viele! Nicht ich bestimme irgendetwas. Ihr tut es! Ich bin nur unterwegs zu eurem Wohl, und was ich habe, ist ehrlich verdient und steht in eurem Dienst! Ich hatte Ideen, ich habe sie umgesetzt, etwas geleistet und schließlich bescheiden daran verdient! Was ist deine Mission, was hast du getan, deine Vision umzusetzen? Bist du an die unwirtlichsten Orte gereist, hast einer feurigen Furie von Drachenmutter ein Ei geraubt? Nichts dergleichen hast du getan! Ich werfe es dir nicht vor, aber wirf mir nicht vor, dass ich mein Schicksal in meine Hand nehme, wir ihr das auch solltet!

Schuppenschleifer: [sichtlich eingeschüchtert und leiser] Das ist ja unerhört! Weil ich meine Tage damit verbringe, das Essen für meine Familie auf den Tisch zu bringen. Da habe ich keine Zeit für Visionen.

Dunkelfaust: Das ist die Ausrede eines, verzeih mir die Worte, eines Mannes, der nie Erfolg haben wird! Das sind die Worte eines Verlierers!

Das Trommeln wird nun ohrenbetäubend laut und übertönt alles.

Bauer: [erzürnt] Was ist mit dem Fischer und mir? Ich habe die Felder bestellt und Vieh gehalten. Der Fischer hat die Küste befischt! Wir waren wohlhabend, wir haben gut gelebt. Wir hatten Ideen, wir hatten Visionen! Wir haben sie auch umgesetzt. Doch dann kam der Drache und hat meine Felder verbrannt, das Vieh gefressen, die Kähne des Fischers zertrümmert und das Meer vergiftet. Kein Halm wächst mehr, kein Vieh lebt mehr, kein Fisch schwimmt mehr, wo der Drache ist! Und nun? Nun bringen uns fremde Schiffe Korn, Fisch und Fleisch. Bald sind wir gezwungen, in euren Fabriken zu arbeiten!

Dunkelfaust: Und ich freue mich auf den Tag, an dem ich euch in meiner Fabrik begrüßen darf! Ich kenne euch schon lange als gewissenhafte, verlässliche und hart Arbeitende! Dafür lasse ich gerne das exotischste Fleisch, die schmackhaftesten Fische und das beste Korn aus aller Welt importieren! Du siehst, ich denke an uns alle, nicht nur an mein eigenes Wohl! Glaubst du, dass der Drache nicht auch meine Felder befällt? Das tut er, oh das tut er! Aber hörst du mich darüber jammern?

Das Trommeln des Drachens schwillt an.

Mauerschau[26]: Der Schuppenschleifer geht ans Fenster und sieht hinaus.

 

Schuppenschleifer: Er ist in Rage. Er speit Feuer und rollt durch die Luft wie ein Tornado. Sein Feuer regnet auf den Wald am Stadtrand! Er stürzt hinab in die Flammen, wälzt sich, suhlt sich, rollt sich!

 

Dunkelfaust: Fabelhaft! Das wird eine Ernte! Er häutet sich, er wirft seine Schuppen ab! Er wächst! Wachstum! Unglaubliches Wachstum!

 

Bauer: Es wird immer schlimmer! Wir können das nicht weiter zulassen!

 

Schuppenschleifer: So kann es nicht weitergehen!

 

Fischer: Es reicht jetzt!

 

Sigurd: [beiseite] Das ist meine Gelegenheit! Der Moment ist gekommen! [tritt nun nach vorne] Lasst uns endlich handeln! Wir haben es lange genug gesehen! Wir waren zu lange faul! Aber es reicht nun! Wisst ihr nicht, was er tut? Er häutet sich! Er häutet sich, weil er wächst. Er wird mächtiger, er wird brutaler, mächtiger, wilder, viel, viel mächtiger! Wenn wir ihn jetzt nicht besiegen, dann mag es schon bald zu spät sein, weil er unbesiegbar wird! Es gibt nur eine Antwort! Der Drache muss weg! In den nächsten Tagen, wenn er durch seine Transformation geht, ist er schwach und angreifbar, und zusammen können wir ihn besiegen! Lasst uns handeln, lasst es uns jetzt tun! Lasst uns einen Plan schmieden! Ihr sehr, der Alte hat nur Spott für euch. Lasst etwas Neues wachsen! Die Hoffnung auf eine Zukunft!

 

Schuppenschleifer: Jawohl! Es reicht!

 

Fischer: Vielleicht… aber wir sollten nichts übers Knie brechen.

 

Dunkelfaust: Weg? Bist du des Wahnsinns? Der Drache hat uns so viel gegeben! Die Straßen sind dank ihm gepflastert, erinnert ihr euch noch, wie wir durch Matsch waten mussten, Gaslaternen leuchten uns den Weg in der Nacht und wir stolpern nicht mehr über unseren Unrat. Sieh dir diese gemauerte Burg an! Welch ein Meisterwerk! Dies alles hat uns der Drache geschenkt! Wollt ihr wirklich dahin zurück? Wollt ihr in die Vergangenheit? Wir müssen in die Zukunft, aber in die richtige!

 

Sigurd: [zu den drei Bürgern] Was für eine Zukunft haben wir denn mit ihm? Niemand lebt in einem Palast. Nur er! Früher hattet ihr etwas Eigenes, einen Beruf, ihr konntet selbst über euer Leben entscheiden! Jetzt seid ihr abhängig von ihm, von dem, was er euch an Krumen hinwirft!

 

Dunkelfaust: [außer sich vor Wut] Still! Welch ein Wahnsinn! Lasst ihr so mit euch reden? Morgen, wenn er sich zur Ruhe legt, dann sammelt! Und mit dem, was ihr mir bringt, kaufen wir euch Boote, Holz, Fleisch, Wein! Was immer ihr wollt! Ich verspreche euch Köstlichkeiten, von denen ihr nie gehört, nicht einmal geträumt habt! Morgen, morgen werden wir reich sein! Morgen werden wir feiern! Und übermorgen lade ich euch ein! Schon übermorgen erwarten wir den Frachter, und dann steigt ein großes Fest! Ich gebe euch alles, alles, was ihr braucht! Alles! Glaubt ihr mir oder diesem Kind?

 

Bauer: Ich weiß nicht…

 

Fischer: Nein, ich auch nicht.

 

Gudrun: [beiseite] Darauf hab ich gewartet! Aber ich werde nicht länger warten als sie! Morgen wollen sie suchen? Morgen, wenn es sicher ist? Wenn sie meinen, sie können bis morgen warten, dann kann es nicht so dringend sein! Sie brauchen die Trophäen offensichtlich nicht so sehr wie ich! Wenn ich heute gute Beute mache, kann ich übermorgen schon von hier fliehen, wenn der Schoner wieder ablegt! Wenn sie zum Ernten ausfahren, werde ich meine schon eingefahren haben! Ich muss mich beeilen, ihrer Gier zuvorzukommen! 

 

Gudrun ab.

 

Dunkelfaust: Wollt ihr nicht erreichen, was ich erreicht habe? Ich sag es euch: An eurer Stelle war ich auch einmal. Und ich habe meine Angst überwunden! Ich habe gelernt, und ich habe profitiert! Lasst uns zur Ernte schreiten! Bringt mir die Drachenschuppen, die Zähne, bringt mir, was er abwirft! Bringt sie mir, sobald er schläft! Bringt sie mir, und ich zahle euch den doppelten Preis!

 

Bauer: [enthusiastisch] Den doppelten?

 

Schuppenschleifer: Wirklich?

 

Fischer: Den doppelten Preis! Das ist ja doppelt so viel!

 

Sigurd: Was nützt euch der doppelte Preis, wenn ihr tot seid?

 

Fischer: Du musst ja nicht! Dann bleibt mehr für uns!

 

Dunkelfaust besinnt sich für einen Augenblick, dann hebt er an.

 

Dunkelfaust: [laut und imposant brüllend] Nein, der Junge hat recht! Was nützt euch der doppelte Preis? Ich zahle den dreifachen!

 

Bauer, Fischer und Schuppenschleifer jubeln.

 

Dunkelfaust: Und vergesst nicht! Wenn ihr zurückkehrt von der Ernte, richten wir das Fest aus! Meine Großtochter Aria hat sich was Formidables überlegt! Die Feier wird größer und bombastischer, als ihr euch je zu träumen wagtet. Wir feiern nicht den Drachen! Wir feiern euren Reichtum! Bald werdet auch ihr in Palästen leben! Je stärker der Drache wird, desto größer werden unsere Paläste! Es ist genug für uns alle! Gemeinsam werden wir reich! Aber… [dramatische Pause] Aber ich brauche dafür eure Hilfe. Ihr müsst mir helfen! Zusammen müssen wir klug handeln und den Drachen in die Schranken weisen, damit er euch nicht mehr belästigt. Wir müssen ihm klar machen, in welchen Grenzen er sich zu bewegen hat! Das schaffen wir! Wir schaffen das, wenn wir zusammenarbeiten! Ihr und ich!

 

Sigurd: [versucht die Aufmerksamkeit der anderen zu bekommen] Wie soll man denn mit einem Drachen verhandeln? Wie ihn in die Schranken weisen?

 

Dunkelfaust: Wir schaffen das! Wir schaffen das! Wir schaffen das!

 

Bauer, Fischer und Schuppenschleifer: [stimmen laut ein] Wir schaffen das! Wir schaffen das! Wir schaffen das!

 

Dunkelfaust: Dann lasst es uns schaffen! Wir erwarten mehr Schuppen von seiner Häutung! Geht morgen alle raus und sammelt! [zum Bauer und Fischer] Unterstützt ihr den Schuppenschleifer dann in der Manufaktur? Wir werden viel zu tun haben!

 

Bauer und Fischer [gemeinsam]: Auf jeden Fall!

 

Bauer: Wir folgen euch gern!

 

Sigurd: [zu Aria] Was passiert hier gerade? Wie können sie glauben, dass das die Antwort sein könnte! Es ist Wahnsinn, es ist Unsinn! Wie kann das denn die Lösung sein?  [laut, versucht noch einmal, zu den Bürgern durchzudringen] Hört mir zu! Er belügt euch, er betrügt euch!

 

Fischer: [tritt drohend auf ihn zu] Schluss jetzt! Wir haben genug von deinem Quatsch! Verschwinde, du Verräter, oder…

 

Sigurd: Oder? Was passiert sonst?

 

Aria: [zieht Sigurd zurück und besänftigend] Nicht! Das hier ist nicht der Augenblick und es ist nicht der Weg! Lass uns gehen!

 

Aria und Sigurd ab.

 

Dunkelfaust: Danke! Danke, dass ihr euch für die Insel entschieden habt! Danke, dass ihr mit mir für die Zukunft kämpft. Danke, dass ihr mich euch helfen lasst, dass ich euch reich machen darf! Ich bin so froh, dass wir zusammengefunden haben! Zusammen werden wir die Probleme besiegen! Eure Interessen und meine sind unsere gemeinsamen! Ihr habt mir die Augen geöffnet, das sehe ich nun ein! Dafür muss ich euch danken! Denkt dann, den dreifachen Preis zahle ich! Denkt auch an das rauschende Fest!

 

Dunkelfaust umarmt die anderen drei noch einmal.

 

Fischer: Wir haben euch zu danken!

 

Bauer: Bitte verzeiht uns!

 

Schuppenschleifer: Wir wissen eure Gunst zu schätzen!

 

Dunkelfaust: Und ich eure Unterstützung! Nun geht! Ihr habt viel zu tun, ich habe es auch! Ich bin froh, dass wir die Sache aus der Welt geschafft haben!

 

Der Bauer, der Fischer und der Schuppenschleifer unterwürfig nickend ab.

 

 

 

Sigurd und Aria vor dem Palast.

 

Sigurd: Aus einem Aufruhr wird diese absurde Kuschelei? Nie habe ich wen so schnell umfallen sehen! Ein paar Taschenspielertricks und schon sind sie bereit, den ganzen Unsinn zu glauben? Mir wird von der Doppelzüngigkeit schwindlig. Wie kann man so empfänglich sein für solch süße Gifte? Der Alte mag gebrechlich sein, aber er schlägt noch so manche Volte[27] und führt die Ochsen an der Nase herum! Es wird schwieriger als gedacht! 

 

Aria: Ich verstehe es auch nicht. Das sind nicht die Bürger, die ich kenne.

 

Sigurd: Was macht sie so blind für die Wahrheit?

 

Aria: Vielleicht sind die Probleme einfach überwältigend?

 

Sigurd: Und deswegen glauben sie den größten Unsinn? Windmühlen? Diese ganze Verbrüderung! Und du bist mittendrin?

 

Aria: [überrascht und verärgert] Ich mittendrin?

 

Sigurd: Das dumme Fest für uns, was du da planst? Mit dem er die Bürger noch besoffener macht, als sie jetzt schon sind! Du hilfst ihm noch? Du wolltest ihn auf deine Seite ziehen, und nun steckst du in seiner Tasche!

 

Aria: Er hat auch mich getäuscht! Das war nicht in meinem Sinne!

 

Sigurd: Du wolltest mit ihm reden!

 

Aria: Er hört nicht auf mich! Er hat es mir versprochen! Aber scheinbar nur bei der Wahl des Kuchens für sein tumbes Fest.

 

Sigurd: Dein besonnenes Reden scheint nicht viel zu fruchten. Deine klugen Worte haben nicht viel erreicht!

 

Aria: Es ist halt ein mühsames Werk! Aber wie sonst? Anders geht es nicht.

 

Sigurd: Natürlich geht es anders! Die Lösung ist ganz einfach. Es gibt sogar zwei! Entweder muss der Drache weg oder sein Herr.

 

Aria: [entsetzt] Sein Herr weg? Bist du wahnsinnig? Was heißt weg? Nein, sag’s nicht! Sprich es nicht aus! So radikales Zeugs will ich nicht hören!

 

Sigurd: Radikal? Ist es radikal, Unrecht zu beseitigen? Ist es radikal, eine Zukunft zu wollen? Ist es radikal, leben zu wollen? Du nennst mich radikal? Du hast noch nicht verstanden, wie sehr er uns bedroht! Du weißt nicht mal, wie reich und privilegiert du bist! Für dich sind das kleine Scharmützel. Für uns geht’s ums Überleben!

 

Aria: Jetzt wirst du gemein und unfair! Dies ist eine kleine Insel und eine große! Sie ist zu klein, dass wir uns aus dem Weg gehen könnten, aber groß genug für uns alle! Wir müssen es gemeinsam schaffen! Wir alle leben hier.

 

Sigurd: Sie ist zu klein, um vor dem Drachen zu fliehen! Sie ist zu groß, um sie aufzugeben! So ist sie! Ihr Reiche könnt das nicht verstehen! Ihr besteigt ein Schiff und sucht euch ein neues Zuhause. So groß ist euer Reichtum. Wir sind zu klein dazu! Wir sind ein kleiner Happen für den großen Hunger eures Drachens!

 

Aria: Wir und ihr? Wir sollten wir beide sein! Auch ich bin wir! Ich bin nicht ihr! Ich bin eine von euch!

 

Sigurd: So spricht auch dein Großvater!

 

Aria greift seine Hand und zieht Sigurd zu sich.

 

Aria: Sigurd, bitte! Komm zu Sinnen! Dein Hass benebelt deine Seine! Wir beide, wir sind keine Feinde! Wir sind die besten Freunde. Du bist mir sogar mehr als… [unterbricht sich] Niemanden mag ich mehr als dich! Aber was du vorhast, kann nicht gelingen. Versprich mir, dass du meinem Großvater kein Haar krümmst.

 

Sigurd: [besinnt sich wieder] Es war nicht so gemeint!

 

Aria: Aber du hast es gesagt! Von Worten zu Taten ist es kein weiter Weg! Versprich es mir!

 

Sigurd: [verärgert] Dass du das überhaupt glauben könntest! Du müsstest mich doch besser kennen!

 

Aria: Im Ernst, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Das alles hier führt alle zu solch wilden Gedanken!

 

Sigurd: Wenn du es nicht in deinem Herzen weißt, dann hilft dir keine Antwort, die ich dir geben könnte!

 

Sigurd wütend ab.

 

Aria: Das ist nicht gut! Was passiert hier? Die Wut vergiftet uns alle! Vor allem, dass er mir so etwas vorwirft, das trifft mein Herz. Von Sigurd hatte ich immer gedacht, dass er mich versteht. Und wo ist eigentlich Gudrun hin? Schon wieder ist sie einfach so verschwunden! Ich mache mir Sorgen um sie!

 

Vorhang.

 


 

Dunkelfaust und Kupferstift im Palast.

 

Dunkelfaust: Rechne aus, was mich mein übermäßig großzügiges Zugeständnis kosten wird! Vielleicht war der dreifache Preis ein wenig übertrieben. Mit dem doppelten hätte ich sie auch bekommen. Aber ich konnte einfach nicht widerstehen!

 

Kupferstift: Viel wird es nicht sein, was Sie das kostet!

 

Dunkelfaust: Glücklicherweise bezahle ich ihnen so wenig, dass das Dreifache von wenig, wenig bleibt. Es macht sie glücklich und mich nicht ärmer, das verbuche ich als einen Gewinn für uns alle!

 

Kupferstift: Ein kluger Schachzug. Wie Sie die Stimmung gedreht haben! 

 

Dunkelfaust: Die Leutchen sind einfach zu durchschauen und noch einfacher zu führen. Sie glauben, dass ihr kleines Leben sie zu einer eigenen Meinung ermächtigt. Wer nichts schafft, soll auch nichts meinen! Sie überschauen einfach das große Ganze nicht. Man muss es ihnen erklären, und das tue ich.

 

Kupferstift: Besser als jeder andere.

 

Dunkelfaust: Doch eines macht mir Sorgen: Der Sigurd. Die Jugend ist zu stürmisch. Das Althergebrachte bedeutet ihr zu wenig. Sie sieht nicht, wie viel Mühe darin bestand, die Dinge zu formen. Veränderung bedeutet Verlust des Bewährten. Das ist die Wahrheit. Die Jugend ist zu jung, um das zu verstehen. Sie hat nie etwas geschafft, erhebt aber Ansprüche, als hätte sie ein Recht an der Zukunft. Sie türmt nur eines auf: Ansprüche und Forderungen. Die aber bis in den Himmel!

 

Kupferstift: Es sind halt Kinder.

 

Dunkelfaust: Aber ihre Ansprüche, die kennen sie! Gott weiß, die kennt Sigurd gut!

 

Kupferstift: Der Junge hat einfach einen Stich.

 

Dunkelfaust: Aber mit einem Stich durchbohrt man das Herz eines Drachens! Er hat Ideen und Ambitionen. Solche Gestalten sind gefährlich. Wir können ihn nicht gewähren lassen! Auf den müssen wir ein Auge haben!

 

Vorhang.

 


 

Gudrun in der Nacht. Sie beleuchtet mit einer kleinen Lampe ihr Gesicht in der Dunkelheit der Bühne. Sie trägt einen Rucksack und schleicht durch die unheimliche Aschelandschaft. Im Hintergrund ist trotz der Dunkelheit noch eine komplett schwarze Fläche zu erkennen. Wie der Eingang einer Höhle. Ganz leises, unrhythmisches Trommeln, wie ein sehr langsamer Herzschlag.

 

Gudrun: Die Nacht und ich, wir sind zwei schöne Schwestern! Weil du mir gehörst wie ich dir! Die Nacht und ich! So lieblich und friedlich! Fast romantisch, wir beide! Selbst die Verkrüppelungen des Drachens kaschierst du, als würden wir durch einen lauschigen Wald flanieren[28]!

 

Sie erstarrt, als sie ein Geräusch hört.

 

Gudrun: [flüstert] Was ist das? Der verkohlte Kadaver meiner Heimat spielt mit meinen Sinnen! Es ist so unheimlich, wie es in meinen Gedanken kriecht würmergleich.

 

Sie schüttelt sich vor Furcht, unterdrückt ein Husten und hält sich ein Tuch vor das Gesicht. Dann stochert sie in der Dunkelheit.

 

Gudrun: Dieser Gestank! Ich bin nah an seiner Höhle! Ich spüre ihn förmlich, sein Herzschlag geht mir durch Mark und Bein. Auf jeden Fall rieche ich seinen fauligen Gestank! Was ist das?

 

Sie stochert im Staub und findet nach einer Weile etwas.

 

Gudrun: Ich habe eine! Was für ein Exemplar! Und hier liegt noch eine…  und noch eine! Was für ein Schatz! Mehr als ich erwarten konnte! Ich bin reich! Meine Güte, bin ich reich! Ich habe es geschafft! Geschafft!

 

Sie hebt eine von den Drachenschuppen nach der anderen auf. Gudrun steckt sie in ihren Rucksack, bis der voll ist, dann nimmt sie sie in die Hand, stapelt sie auf den Unterarmen. Es sind fast mehr, als sie tragen kann.

 

Gudrun: Eine noch… und noch eine… eine einzige noch… noch eine, und ich hab genug!

 

Ein dumpfes, langsames Trommeln, jetzt lauter, schneller und rhythmisch.

 

Gudrun erschrickt.

 

Gudrun: Was war das? Ganz deutlich! Aber nein, da ist nichts! Meine Sinne spielen mit mir! Da schnauft nicht der Drache. Meine Angst plustert sich auf! Meine unbegründete Angst. Meine sinnlose…

 

Ein weiteres Geräusch. Im Hintergrund aus der Höhle ein oranges Leuchten wie zwei dämonische Augen.

 

Gudrun: Was ist das? Schlaf schön, kleiner Drache! Träum von deiner Gier! Träum so richtig schön davon, wie du alles frisst!

 

Der Drache grunzt, und das Orange im Hintergrund wird heller, als würde der Schein des Feuerspeiens die Bühne erhellen. Gudrun wirft sich auf den Boden, um sich zu verbergen, dabei entgleiten ihr die Schuppen, die scheppernd und laut auf den Boden fallen. Sie kauert dort, während der Drache laut brüllt.

 

Gudrun: Ganz ruhig, ruhig, ruhig! Schlaf wieder ein! Oh, schlaf doch! Schlaf und träum doch!

 

Der Drache brüllt laut und erhebt sich. Das Trommeln des Herzschlags wird schneller und lauter.

 

Gudrun: Ich muss weg! Weg! Nur weg!

 

Sie steht auf, läuft von der Bühne, das Grollen nimmt zu, wird unerträglich.

 

Gudrun kommt zurück, will die Drachenschuppen nicht liegenlassen. Sie stapelt sie auf ihren Armen, lässt einige fallen, hebt sie wieder auf.

 

Gudrun: So einfach mach ich es dir nicht! Das ist mein Schatz! Den überlass ich dir nicht!

 

Das Geräusch wird unerträglich laut.

 

Sie läuft mit den Schuppen langsam von der Bühne, eine entgleitet ihr und fällt, sie hebt diese wieder mühsam auf.

 

In diesem Moment wird die Bühne hell erleuchtet, als würde der Drache Feuer speien.

 

Ein Schrei.

 

Gudrun fällt und bleibt liegen.

 

Dann Stille.

 

Die Bühne wird dunkel und das rhythmische Trommeln verstummt.

 

Stille.

 

Stille.

 

Unangenehm lang Stille.

 

Vorhang.

 

 

 

Die verkohlte Landschaft.

 

Aria kommt nach einer Weile und schleift sich auf die Bühne.

 

Aria: So lange war ich fort und von ihr getrennt. So lange habe ich mit Freude an sie gedacht. Mit Sehnsucht. Jetzt ist sie wieder von mir getrennt, und ich denke an sie mit nichts als Schmerz. Denn es gibt keine Hoffnung. Und es ist alles meine Schuld. Ich hätte sie zurückhalten müssen. Ich hätte sie stoppen müssen. Ich hätte den Drachen stoppen müssen. Ich hätte… ein jedes „ich hätte“ ein Peitschenhieb. Ich schaue zu, wie meine Welt gefressen wird und sage nur: Ich hätte… [Pause] Wenn ein Mensch ein metaphorisches Universum ist, wie unfassbar ist dann der Verlust eines Menschen? Wenn unsere Welt gefressen wird, dann auch die Menschen darin. Der Verlust unserer Welt ist also wie das von Universen! Der Himmel stürzt gerade ein. Wie verwirrend ist das? Wie kann das sein? [Pause] Aber all die Wirrheiten, auch die Schmerzen, können nicht verdecken, dass es nur eine Wahrheit gibt: Dass alles meine Schuld ist. Ich hätte es sehen müssen, ich hätte sie abhalten müssen! Ich hätte früher zurückkommen müssen. Alles hängt an mir! Diese Schuld wird nie vergehen. Meine liebe Gudrun wird nie wieder zurückkehren. Meine Schuld hat ihren Platz eingenommen und nie mehr von mir weichen. Ich sollte zum Drachen und ihn bitten, auch mich zu nehmen. Dass mein verkohlter Leib im aschenen Grab neben ihr ruhen kann. Nur Drachenfeuer kann diese Bürde tilgen. Aber was rede ich? Was denke ich? Nichts macht mehr Sinn. Als wären mit ihr alle Worte getötet. Ein Stammeln. Besser nichts mehr sagen!

 

Aria setzt sich auf die Bühne und schweigt lange.

 

Dann steht sie langsam auf.

 

Aria: Aber Schweigen hilft auch nicht. Das Warten auf den Tod auch nicht. Es muss weitergehen. Aber wohin? Was kann ich tun? Ich bin gescheitert, bevor ich auch nur beginnen konnte. Eine Versagerin. Aber eine, deren Herz noch nicht versagt hat. Es schlägt einfach weiter. Es treibt mich an, egal, wie sehr ich mich sträube. Was kann ich tun? Es muss weitergehen. Ich muss einfach weitergehen. Aber wohin?

 

Aria mühsam ab.

 

Vorhang.

 

 

 

Die Taverne. Der Fischer, der Bauer, der Schuppenschleifer. Sie sitzen still um einen Tisch und trinken Bier. An einem anderen Tisch allein Kupferstift. Auftritt Sigurd mit gesenktem Blick. Der Fischer, der Bauer und der Schuppenschleifer stehen auf und umarmen ihn stumm.

 

Fischer: Beileid!

 

Sigurd: Danke.

 

Bauer: Wenn wir was tun können…

 

Nachdem ihn die drei umarmt haben, wendet Sigurd sich Kupferstift zu, der etwas abseits steht und wartet.

 

Kupferstift: Ich weiß, dass ich nicht derjenige bin, den du jetzt sehen willst, weil du mich mit verantwortlich machst. Ich weiß auch, dass es kein Wort gibt, das dich umstimmen könnte. Kein Wort aus meinem Mund kann deine Trauer in diesem Moment mindern. Ich könnte sagen, ich habe auch schon Menschen verloren und weiß, wie du dich fühlst. Aber ich weiß, dass es dir nicht helfen würde. Wisse aber, dass ich mit dir leide und dass ich nicht dein Feind bin. Wisse, dass auch Dunkelfaust die Trauer teilt. Nicht deine Trauer, denn diese muss für uns unergründlich tief sein, aber er trauert wie wir alle. Bei allen Unterschieden zwischen uns, wisse, dass dieser sinnlose Verlust deiner Schwester uns alle eint.

 

Sigurd nickt nur stumm, gibt ihm die Hand und wendet sich dann ab.

 

Kupferstift: [beiseite] In Momenten der Verzweiflung kommt der Mensch zu zweifelhaften Gedanken. Ich verweile besser noch ein wenig und lausche!

 

Kupferstift nickt, verneigt sich und geht, bleibt aber auf der Bühne, wo er dem Gespräch still zuhört.

 

Der Fischer, der Bauer, der Schuppenschleifer und Sigurd setzen sich. Der Fischer gießt ihm ein Bier ein, der Bauer holt eine Flasche Schnaps hervor, und sie trinken wortlos.

 

Sigurd: Es kann nicht so weitergehen.

 

Schuppenschleifer: Ja, die Dinge haben sich geändert. Wir haben alle Kinder. Dein Verlust, der ändert alles. Das erste Mal ein Mensch.

 

Bauer: Wenn ich daran denke, dass meine Tochter…

 

Fischer: Oder mein Sohn…

 

Schuppenschleifer: Meine Frau… wir müssen was tun!

 

Fischer: Aber was?

 

Bauer:

 

Sigurd: [bitter] Endlich wacht ihr auf! Endlich, endlich! Wir können ihn loswerden. Das wisst ihr.

 

Bauer: Du willst immer noch einen Drachen töten?

 

Sigurd: Wir brauchen viele Männer und auch Frauen. Es wird schwer, es wird gefährlich, aber wir können ihn loswerden!

 

Er zieht ein kleines Notizbuch heraus und zeigt Zeichnungen. Die drei beugen sich darüber.

 

Sigurd: Einige locken ihn aus seiner Höhle, andere lenken ihn ab, wir locken ihn quasi in eine Falle und dann erledigen wir ihn! Wir gehen alle auf ihn drauf! Fesseln ihn mit Tauen, dann stechen wir ihn ab! Mit Speeren, Harpunen, mit allem, was wir haben!

 

Schuppenschleifer: Pure Gewalt?

 

Sigurd: Brutale, pure, ungebändigte Gewalt!

 

Schuppenschleifer: Hmm, weiß nicht. Aber vielleicht… könnte es gelingen.

 

Fischer: Einfach alle drauf und dann totschlagen!

 

Bauer: Riskant. Aber, nicht unmöglich.

 

Schuppenschleifer: Es wird Tote geben. Das muss klar sein! Nicht alle werden das überstehen!

 

Sigurd: Es gab Tote! Wir trinken auf eine, und es wird noch mehr geben. Meine Schwester war das erste Opfer, sie wird nicht das letzte bleiben. Wir können ihn jetzt noch stoppen. Aber bald schon vielleicht nicht mehr. Mit jeder Häutung wird er mächtiger. Wenn wir es gut machen, dann gibt es vielleicht keine!

 

Schuppenschleifer: Du sagst vielleicht. Vielleicht verschwindet er auch von selbst. Vielleicht sollten wir besser warten. Vielleicht frisst er sich zu Tode. Das Einzige, was nicht vielleicht ist, ist die Sicherheit, dass wir unser Leben riskieren, wenn wir kämpfen. Der Tod ist einigen von uns sicher, wenn wir es versuchen! In dem Satz ist kein Vielleicht.

 

Der Bauer und der Fischer nicken.

 

Sigurd: Ich hatte eine Schwester, die habe ich über alles geliebt. Ich habe es ihr nicht gesagt, nicht oft genug, …dass ich sie liebe. Ich wusste auch, was sie vorhat, habe sie nicht zurückgehalten. Sogar dabei unterstützt habe ich sie. Ihr Drei habt alle Töchter. Welche wird die nächste sein, wenn ihr nichts tut? Ich wünsche niemandem die Last, die nun auf mir liegt. Und sie wird nur größer, denn wer ist der nächste?

 

Fischer: Wir haben nicht nur Töchter. Wir haben auch Söhne. Wie viele von denen werden wir opfern?

 

Sigurd: Keiner wird geopfert! Wir sind keine Monster. Wollt ihr euch einfach eurem Schicksal ergeben und warten, bis er es sich holt oder wollt ihr selbst handeln?

 

Schuppenschleifer: Dann soll Dunkelfaust was tun! Es ist sein Problem, und er hat es geschaffen!

 

Sigurd: Der wird nichts tun! Der Drache ist ihm mehr wert als wir alle. Wir sind ersetzbar. Der Drache ist das Einzige, was ihn mächtig macht. Dunkelfaust und der Drache. Sie sind eins. Töten wir den Drachen, vernichten wir seine Macht über uns! Dann gehört die Insel wieder uns.

 

Schuppenschleifer: Das Drachenfeuer macht auch vor ihm keinen Halt.

 

Sigurd: Täusch dich da nicht. Er lebt schon jetzt nicht in einem Palast, einem Fort, einer Bastion! Unser Leid kümmert ihn nicht. Er wird höchstens mildes Mitleid empfinden. Wir Armen sind die Leidenden. Er baut sich einen Wall aus Gold! Wir haben nichts als unsere nackte, geschundene Haut.

 

Fischer: Vielleicht sollten wir ihn dem Drachen zum Fraß vorwerfen!

 

Sigurd: Das dachte ich auch mal. Aber was ist damit gewonnen? Er ist das Opfer seiner Gier wie wir unserer Ausreden. Es wird nichts lösen. Wir müssen selbst ran.

 

Bauer: Warum soll ich mich oder meine Leute in solch eine Gefahr bringen? Selbst wenn der Drache erschlagen wird, was nützt es mir, wenn ich es auch werde?

 

Schuppenschleifer: Einfach zu gefährlich.

 

Sigurd: [schüttelt den Kopf, wendet sich dann zu den anderen] Was ist mit euch?

 

Fischer: Der Bauer hat‘s einfach erfasst!

 

Sigurd: [zum Schuppenschleifer] Und du?

 

Schuppenschleifer: Ich wäre ja bereit, aber ich halte meinen Hals doch nicht für die anderen hin!

 

Bauer: Wir sind einfach keine Helden!

 

Sigurd: Ich bin auch keiner. Wir brauchen keine Helden, wir brauchen nur Entschlossenheit! Aber hier finde ich nur windelweiche Schwächlinge! Meine Schwester ist dem Tod entgegengegangen. Ihr wartet einfach, bis er euch holt!

 

Kupferstift: [beiseite] Er scheint kein Glück zu haben. Aber ein Extremist ist er doch! Ich berichte besser schnell! Das waidwunde Biest ist das gefährlichste! Wer weiß, zu was er fähig ist.

 

Kupferstift ab.

 

Fischer: Trink noch einen mit uns! Dein Schmerz ist nüchtern nicht zu ertragen!

 

Sigurd: Ich bin klar und nüchtern, doch ihr besauft euch in eure Trägheit. Wenn wir zusammen nichts erreichen, werde ich es halt selbst machen!

 

Sigurd ab.

 


 

Die Vorigen in der Taverne.

 

Bauer: Der Bursche ist mir aber so ein richtiger Drachentöter!

 

Fischer: Ein Depp ist das!

 

Bauer: Den dürfen wir nicht unterschätzen! Der ist gefährlich. Was der alles will!

 

Schuppenschleifer: Wir wollen eine kluge Lösung, der will die Revolution!

 

Fischer: Wir haben den letzten Angriff vom Drachen überlebt, dann werden wir auch den nächsten überstehen!

 

Bauer: Wir riskieren unser Leben doch nicht für so einen Hitzkopf!

 

Schuppenschleifer: Wenn der wüsste, wie kostbar ist, was er einfach so zerstören will! Natürlich sind wir unzufrieden, aber man kann doch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten! Dunkelfaust hat bewiesen, dass man mit ihm reden kann! Wir müssen ihm vertrauen! Wenn der Drache weg ist, dann ist alles weg! Wir müssen das eine behalten und das andere nicht verlieren! Das ist die Lösung! Radikalen Terror können wir nicht brauchen!

 

Fischer: Weg mit dem Quatsch! Den brauchen wir nicht!

 

Schuppenschleifer: Habt ihr den Kupferstift gesehen?

 

Fischer: Was ist mit dem?

 

Bauer: Er hat aufmerksam gelauscht!

 

Schuppenschleifer: …wie wir mit ihm geredet haben.

 

Bauer: Meinst du, er glaubt, wir planen was gegen Dunkelfaust? Als würden wir uns verschwören?

 

Fischer: Was man nicht weiß, weiß man nicht!

 

Schuppenschleifer: Wir sollten es nicht so aussehen lassen!

 

Bauer: Wir werden mit ihm reden! Und das sofort, bevor der Kupferstift ihm morgen davon erzählt!

 

Fischer: Guter Plan! Aber erst noch einen für den Weg!

 

Der Fischer schenkt den anderen ein, sie stoßen an und trinken.

 

Vorhang.

 

. Akt


Dunkelfaust in seiner Bibliothek vor seiner Tafel mit der Skizze. Auftritt Kupferstift eilig.

Kupferstift: Herr, darf ich Sie stören?

Dunkelfaust ignoriert ihn für eine Weile und arbeitet an seiner Zeichnung.

Dunkelfaust: Ich komme der Lösung näher! Wenn ich es noch schaffe, den Duft zu vergleichen, der den Schwefeldunst übertüncht. Ich bin ganz nah an der Lösung!

Dunkelfaust lässt Kupferstift eine Weile stehen.

Dunkelfaust: Was gibt es?

Kupferstift: Ich habe ein Gespräch in der Taverne überhört. Zwischen den Bürgern und dem jungen Sigurd.

Dunkelfaust: Und?

Kupferstift: Der Junge versucht, sie weiter gegen dich aufzumischen.

Dunkelfaust: Und, gelingt es ihm trotz meiner großzügigen Geschenke?

Kupferstift: Der Tod seiner Schwester berührt alle.

Dunkelfaust: Ihr Schicksal kommt uns nicht gerade gelegen. Ich werde noch einmal mit ihnen reden und sie auf den richtigen Weg bringen.

Kupferstift: Es trifft sie einfach, was passiert ist.

Dunkelfaust: Schon gut, schon gut! Sie sind nicht schwer zu überzeugen. Einfache Gemüter halt. Als ihren Feind werde ich ihn darstellen! Als Terroristen, der ihre Interessen verrät. Ich werde mich auf ihre Seite stellen, auch wenn uns nichts mehr unterscheiden dürfte! Aber das wird bei den guten Bürgern wirken. Mehr als alles haben sie Angst vor dem Fremden und der Ungewissheit! Ich stelle ihn einfach als den Gegner ihrer Interessen dar, als den wahren Sündenbock, vor dem ich, einer von ihnen, sie schütze. Meine Lösungen werden einfach und emotional sein, seine wirr und radikal. Damit gehen sie mir auf den Leim!

Kupferstift: Ich glaube, ich höre sie unten.

Dunkelfaust: Lass sie rein und lerne! Das wird ein Spaß!

Es klopft.

Kupferstift öffnet die Tür.


Schuppenschleifer, der Fischer, der Bauer und die Vorigen in der Bibliothek des Palastes.

Schuppenschleifer: Verzeiht, dass wir so spät noch stören, aber wir müssen etwas melden!

Dunkelfaust: Melden? Was ist passiert?

Schuppenschleifer: [schaut nervös zu Kupferstift] Wir waren in der Taverne. Der Fischer, der Bauer und ich. Und da kam Sigurd, dieser Hitzkopf, voller Wut mit Schaum vorm Mund! Er versuchte uns aufzurühren gegen euch! Versuchte, gegen euch aufzustacheln!

Dunkelfaust: Was höre ich da?

Schuppenschleifer: Er hat einen Plan, den Drachen zu meucheln!

Dunkelfaust: So, so!

Schuppenschleifer: Natürlich haben wir ihn gestoppt! Natürlich haben wir ihm die Flausen ausgetrieben!

Fischer: Natürlich! Und zwar ratzfatz! Wir machen da nicht mit!

Bauer: Wir würden euch nie in den Rücken fallen! Das müsst ihr uns glauben!

Fischer: Auf keinen Fall! Nie!

Schuppenschleifer: Wir sind loyal. Wir haben vielleicht etwas über die Stränge geschlagen, als wir protestiert haben. Aber nie hatten wir den Hochverrat im Sinn! Das müsst Ihr uns glauben!

Dunkelfaust: Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber ihr solltet eure Interessen nicht vergessen und euch fragen, ob dieser wirre Jungspund sie im Sinne hat. Warum sät ihr so den Zweifel in mir? Bin ich nicht einer von euch? Hab ich je an euch gezweifelt? Warum zweifelt ihr dann an mir?

Bauer: Um Gottes Willen! Nichts liegt uns ferner!

Fischer: Wir zweifeln doch nicht! Wir doch nicht!

Dunkelfaust: Wie kann ich da sicher sein? Er bedroht unseren Wohlstand. Bedroht ihr ihn auch? Ihr solltet euch immer bewusst sein: Der Drache gehört zu uns. Er ist noch nicht lange da, aber er ist schon ein Teil unserer Insel, ein Teil von uns! Ich mag ihn hergebracht haben, aber wir alle haben ihn großgezogen! Beim Sigurd, da bin ich mir nicht so sicher, was der im Schilde führt. Ich glaube nicht, dass der auf unserer Seite steht. Ihr solltet immer vorsichtig sein, was ihr aufs Spiel setzt! Stellt euch vor, wie es ohne unseren Wohlstand wäre! Glaubt ihr wirklich, dass die kleinen Kinder mit ihren dummen Ideen dafür Lösungen haben? Wollt ihr euer Schicksal in solche Träumerhände legen? Meine alten, schwieligen Hände sind nicht schön, aber sie haben Tausend Kalamitäten[29] aus dem Weg geräumt. So wie eure! Zeigt her!

 

Dunkelfaust tritt zu den Bürgern, lässt sie die Handflächen zeigen und hält seine daneben.

 

Dunkelfaust: Seht ihr einen Unterschied?

 

Alle drei schütteln den Kopf.

 

Dunkelfaust: Da seht ihrs. Glaubst du, dass seine Hände so schwielig und erfahren sind? Wir sind eins! Vier Hände bilden ein Kreuz! Eine heilige Einheit! Wo ist die des Verräters? Sie schmiedet hinter unserem Rücken hinterhältige Gemeinheiten!

 

Bauer: Natürlich!

 

Dunkelfaust: Niemand weiß, was ihn treibt. Aber es kann nichts Gutes sein! Er will das Kind mit dem Bade ausschütten, meint ihr, dass das klug ist?

 

Schuppenschleifer: Natürlich nicht. Aber der Drache…

 

Dunkelfaust: Sprich nicht weiter! Ich weiß, was du sagen willst: Wir müssen ihm Einhalt gebieten!

 

Schuppenschleifer: Ja.

 

Dunkelfaust: Und ich bin schon dabei. Seht’s euch an: [zeigt auf die Tafel] Das hier wird all unsere Probleme lösen!

 

Schuppenschleifer, Bauer und Fischer schauen fasziniert auf die Tafel.

 

Bauer: Was ist das?

 

Dunkelfaust: Ich kann’s noch nicht erklären, aber glaubt mir, dass das alles ändern wird!

 

Fischer: Ich ahne es schon!

 

Dunkelfaust: Ihr seht, ich arbeite unermüdlich für euch!

 

Schuppenschleifer: Daran haben wir keinen Zweifel!

 

Fischer: Gar keinen!

 

Dunkelfaust: Da seht ihrs! Versprecht mir aber eins, wenn ihr den Sigurd seht!

 

Bauer: Was denn?

 

Dunkelfaust: Ich möchte, dass ihr angemessen handelt! Ich wiederhole es: Ihr sollt, was diesen Zwielichtigen angeht, angemessen handeln! Ihr wisst nun, wie die Sache liegt. Ihr seht, wer auf eurer Seite steht, und ihr wisst, wo der lungert. Haltet das immer im Hinterkopf und entscheidet dann weise!

 

Schuppenschleifer: Natürlich, natürlich, mein Herr!

 

Fischer: Auf jeden Fall! Wir werden angemessen handeln!

 

Dunkelfaust: Dann geht und handelt! Aber handelt… [schaut sie erwartungsvoll an].

 

Bauer: …angemessen?

 

Dunkelfaust: So ist es!

 

Schuppenschleifer: Vielen Dank für Euer Verständnis! Wir werden Euch nicht enttäuschen!

 

Bauer: Da könnt Ihr euch sicher sein!

 

Fischer: Auf keinen Fall!

 

Bauer: Danke, danke, danke!

 

Der Bauer, der Fischer und der Schuppenschleifer ab.

 

Dunkelfaust: Da gehen sie hin!

 

Kupferstift: Darf ich fragen, was Sie damit meinen? Angemessen?

 

Dunkelfaust: [lächelt] Ich weiß es nicht. Sie werden das selbst entscheiden müssen. Aber wie sie es drehen und wenden, es bleibt ihre Angelegenheit, was daraus wird. Ich wasche meine Hände rein. Aber vielleicht lösen sie das Problem ja ein und für alle Male, und wir haben bald wieder unseren Frieden!

 

Vorhang.

 


 

Schuppenschleifer, Bauer und Fischer auf der Straße bei Nacht.

 

Bauer: Was meint er damit? Angemessen?

 

Schuppenschleifer: Ich glaube, er will, dass wir klug in seinem Sinne handeln.

 

Bauer: Aber wie?

 

Fischer: Ist doch ganz klar. Was eiert ihr hier rum? Der muss weg! Ganz einfach! Der kleine Spinner muss weg!

 

Bauer: Was heißt denn weg?

 

Fischer: Na weg! Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit!

 

Schuppenschleifer: Was heißt denn weg genau?

 

Fischer: Na weg!

 

Schuppenschleifer: Nichts ist klar! Ich will nicht, dass wir irgendwas tun, das wir später bereuen! Was hat Dunkelfaust gemeint?

 

Fischer: Der muss einfach weg! Der will an unseren Drachen!

 

Schuppenschleifer: Lass uns nichts überstürzen! Er ist immer noch einer von uns.

 

Fischer: Du hast es doch gehört, der ist nicht einer von uns! Das ist unser Feind!

 

Bauer: Ich weiß nicht.

 

Schuppenschleifer: Ich auch nicht. Wir sollten nichts überstürzen.

 

Fischer: Ihr Feiglinge!

 

 

 

Die Vorigen auf der Straße bei Nacht. Aria.

 

Aria: Guten Abend, liebe Herren! Habt ihr Sigurd gesehen?

 

Fischer: Den suchen wir auch!

 

Aria: Warum?

 

Schuppenschleifer: [beschwichtigt] Nein, nein. Wir suchen ihn nicht. Wir haben ihn auch nicht gesehen. Vielleicht ist er am Strand beim Seemann? Ich glaub, ich hab ihn in die Richtung gehen sehen!

 

Fischer: Unsinn!

 

Bauer: [bringt ihn zum Schweigen] Ruhig jetzt!

 

Schuppenschleifer: Du musst ihm verzeihen. Er hat ein bisschen zu tief ins Glas geschaut.

 

Aria: Heute war ein grausiger Tag für uns alle!

 

Bauer: Es war einfach zu viel für sein gutes Gemüt.

 

Fischer: Lasst mich, ich bin ganz klar im Kopf!

 

Aria: Darüber wollte ich mit euch auch noch sprechen. Es kann so nicht weitergehen! Ich möchte euch ein Angebot machen!

 

Schuppenschleifer: Was denn für ein Angebot?

 

Aria: Seht ihr, bald wird Dunkelfaust die Geschäfte in meine Hand legen. Gott weiß, dass er sich den Ruhestand verdient hat. Aber dann müssen wir uns mit seinem Erbe beschäftigen. Mit dem Drachen. Er hat Wohlstand über die Insel gebracht. Aber auch Gefahren. Ich möchte gerne eine Idee entwickeln für die Zeit nach dem Großpapa und dem Drachen.

 

Bauer: [aufhorchend] Also ohne den Drachen?

 

Aria: Es wird vielleicht nicht mit ihm gehen, fürchte ich! Daher möchte ich euch fragen, wie diese Utopie aussehen könnte.

 

Fischer: Also ohne den Drachen?

 

Schuppenschleifer: [beiseite] Die jetzt auch? Was bildet sie sich ein? Wie kann sie glauben, dass Dunkelfaust ihr das Zepter in die kindliche Hand gibt? Der wird noch lange nicht abtreten, wie kann man nur so daneben liegen?

 

Bauer: Wie soll das gehen?

 

Aria: Wir werden einen Weg finden! Einen gerechten, einen guten! Wir müssen es nur wagen! Aber wir alle zusammen! Ihr seid arm und lebt in Angst! Ist das eine Zukunft? Wollt ihr wirklich so leben? Was allein heute alles passiert ist! Wenn ihr den Drachen nicht beseitigen wollt, dann lasst uns doch zumindest zusammenarbeiten, dass wir einen Weg finden, wie wir uns vor ihm schützen können.

 

Fischer: Ohne unser schönes Importbier, das wir uns jetzt leisten können? Erinnert ihr euch noch an das Gepansche, das wir früher runtergewürgt haben? Bäh!

 

Aria: Ist das alles, was zählt? Früher seid ihr hinaus aufs Meer, aber wo ist dein Boot? Früher warst du ein stolzer Bauer, aber wo ist dein Land? Wart ihr nicht vor Kurzem noch ebenso besorgt wie ich? Warum jetzt dieser Wandel?

 

Bauer: Wir mögen einfach keine Radikalen.

 

Fischer: Keine Terroristen.

 

Aria: Terroristen?

 

Bauer: Wer unsere Tradition und unsere Kultur angreift, ist ein Terrorist!

 

Aria: Das ist Sigurd, er will das gleiche wie ihr! Er ist einer von euch. Er hat nur euer Wohl im Auge!

 

Sie entfernt sich von den Männern und spricht zu sich selbst.

 

Aria: Ich versteh euch einfach nicht! Ich versteh nichts mehr, außer, dass alles aus dem Lot ist! Wie kann ich so falsch liegen? Mir fehlt einfach eine Richtung. Aber was soll ich machen? Ich versage und versage und alles zerfällt um mich. Erst Gudrun, dann auch noch Sigurd. Wie habe ich mich auf sie gefreut. Auf Gudruns spritzigen Geist und ihr lebhaftes Wesen! Und Sigurd… an den habe ich fast noch mehr gedacht. Habe mir einiges erträumt. Er war immer in meinen Gedanken und in manch einsamer Nacht habe ich mir uns beide vorgestellt. Aber wie schön sind die Träume und wie grausam ist das Leben? Wie ist es gekommen? Nun bin ich allein. Großpapa hat mich hinters Licht geführt. Zu den Menschen komme ich nicht durch. Jetzt bin ich ganz allein mit nichts und muss erkennen, dass ich allein nichts bin. [Pause] Und doch muss ich weiter.

 

Aria ab.

 

Vorhang.

 

 

 

Der Seemann irrt durch die verkohlte Einöde. Das Trommeln des Drachens in der Distanz.

 

Seemann: Schwarz, schwarz. Die Nacht ist schwärzer. Aber ach, es ist Tag! Es ist Tag und doch nur Dunkelheit. Nicht nur die Erde, nicht nur mein Herz. Alles ist schwarz und schwer zu glauben, dass der Tag die Dunkelheit je wieder vertreiben wird! So viel Leid, so viel Verderben! Wir sind wie Flöhe auf einem verreckenden Köter. Meine greisen Knochen haben mehr Leben in sich als alles um mich herum. Und an all dem Schwarzen habe ich meinen Anteil. Ein tiefes, düsteres Loch.

 

Er sieht etwas, einige Schritte entfernt, läuft hin und fällt auf den Boden.

 

Seemann: Was sehe ich da? Einen Keim! Kann man sich das vorstellen? Gestern das Inferno, und heute schon rafft sich die Natur auf. Das Leben kehrt zurück! Sie lässt sich nicht unterkriegen! Ach, ist das die Hoffnung? Widersteht einfach alles dem Drachen?

 

Er schaut in den Himmel, wo der Drache kreist. Entfernt das Trommeln.

 

Seemann: [reckt die Faust und brüllt in den Himmel] Oh Drache, wie schwach du bist! Du verbreitest Terror und Schrecken! Du magst uns zertreten. Vielleicht bringst du den Tod! Aber das Leben wirst du nicht besiegen! Du wirst nie gewinnen! Deine Gier mag so gnadenlos wie endlos sein, aber das Leben beeindruckt es nicht. Gegen die Geduld der Natur kannst du nur verlieren!

 

Der Seemann winkt dem Drachen irre lachend zu, als würde er ihn herbeirufen.

 

Seemann: Egal, wie gierig du bist! Du bist einfach schwach! Gegen diesen kleinen Keim wirst du immer verlieren! Er ist bescheiden, er ist unbesiegbar!

 

Das Geräusch des Drachens schwillt an.

 

Seemann: Ja, komm! Nimm auch mich! Ich habe es verdient! Ich war dein Geburtshelfer! Du bist der Spross meiner Schande! Erteile mir die gerechte Strafe! Aber wisse eins! Meine Taschen sind voller Samen und voll mit Kernen. Verbrenne mich, und meine Asche wird der Dünger für das neue Leben! Aus meinem Staub wird das neue Leben sprießen! Du magst mich vernichten! Aber du wirst nie gewinnen!

 

Das Geräusch des Drachens wird unerträglich laut.

 

Der Seemann fällt auf die Knie und reißt die Arme in die Luft, als würde er erwarten, dass der Drache auf ihn niederstößt und ihn verschlingt.

 

Doch dann verklingt das Trommeln wieder und der alte Mann kniet allein und verloren da.

 

Aria.

 

Aria: Komm, steh auf, alter Mann! Deine Zeit ist noch nicht gekommen!

 

Aria hilft ihm auf.

 

Seemann: [verwirrt] Danke. Ich hatte es gehofft.

 

Aria: Damit wäre ja auch nichts gewonnen, du alter Narr. Wir haben für heute genug davon gehabt.

 

Seemann: Du rettest einen dem Ende Geweihten. Welche Verschwendung.

 

Aria: Noch bist du es nicht. Mir gelingt so wenig, dass ich über jeden Erfolg froh bin, egal wie klein er sein mag!

 

Der Seemann nickt mürrisch.

 

Aria: Komm, ich bringe dich nachhause.

 

Die beiden gehen zu seiner windschiefen Hütte. Daneben ist von einer riesigen Plane etwas verdeckt.

 

Aria: Alter Mann, versprich mir, dich gut auszuschlafen.

 

Seemann: Werde ich und wenn der Drache mich nicht holt, dann habe ich noch einen anderen Weg.

 

Unter einer Plane ist ein großes Gebilde. Er zieht sie weg und enthüllt ein Boot, das aus Müll zusammengezimmert ist.

 

Aria: Du hast ein Boot? Ein richtiges Boot! Kann das schwimmen?

 

Seemann: Sonst wäre es kein Boot.

 

Aria: Dann können wir damit aufs Meer?

 

Seemann: [nickt] Aber wohin? Es ist aus Unrat. Ein Nussschälchen, aber ein schwimmendes! Für meine letzte Reise war es gedacht.

 

Aria: Aber damit kommst du doch im Leben nicht in ferne Länder!

 

Seemann: Im Leben nicht. Aber für die letzte Reise eines Seefahrers soll es reichen! Ein paar Tage wird es halten, das reicht und ist Ziel genug! Ein Seemann soll wie ein Seemann abtreten.

 

Aria: Versprich mir, dass du es nicht tust. Meine geliebte Freundin hatte das gleiche vor. Versprich mir, tu es nicht! Nicht einfach so! Einen weiteren Verlust verkrafte ich nicht!

 

Seemann: Widerwillig, widerwillig verspreche ich es dir. Aber ich mache alles bereit!

 

Aria: Das ist gut, und ich danke dir! Wer weiß, vielleicht bekommst du noch Passagiere für deine letzte Fahrt. Sammle Proviant und was man so braucht! Ich muss es ein letztes Mal versuchen! Noch will ich mich nicht geschlagen geben!

 

Aria ab.

 

Vorhang.

 

. Akt

 

Sigurd in der verkohlten Landschaft. Das Trommeln des Drachens ganz leise und unrhythmisch vor der dunklen Höhle, vor der Gudrun bereits stand.

Sigurd: Ein Held zu sein, ist schwerer als gedacht. Als Bube habe ich es mir so schön vorgestellt. Den Drachen zu töten und die Hand der Prinzessin zum Dank zu erhalten. Die Prinzessin aber hat sich mir entzogen und niemand würde mir Beifall klatschen. Selbst die nicht, die ich retten will. Wie können sie ihren eigenen Untergang so klar vor sich sehen und trotzdem mich zu ihrem Schurken machen? Was habe ich ihnen getan? Ist Gier wichtiger als das nackte Leben? Aber vielleicht liegt es nicht an ihnen, sondern an mir. Selbst mit der geliebten Aria habe ich es mir verscherzt. Selbst sie habe ich fortgestoßen… Aber der Held ist einsam und allein mit seinem Gegner.

Er hebt etwas vom Boden auf.

Sigurd: Hier haben wir die Überreste meiner Schwester gefunden. Es war nur schwarze Asche übrig von ihr. Du hast sie nicht nur getötet, sondern ausgelöscht. Nicht einmal eine Beerdigung hast du ihr gegönnt. Aber vielleicht liegt es nicht mal an dir. Neben ihr hat man eine unermessliche Menge an Drachenschuppen gefunden. Mehr als nötig für ihr Ziel. Vielleicht hast du sie nicht getötet. Vielleicht war es Selbstmord. Vielleicht hat ihre Gier sie getötet. Die gleiche, die alle hier haben. Du lockst uns nur in das Verderben, das sowieso in uns wächst. In mir auch? Lockst du mich gerade? Mit dem Ruhm, den ich mir so sehr wünsche? Machst du mich betrunken mit dem Glauben an mein Heldentum? Du still in deiner Höhle? Wartest du nur auf mich? Vielleicht bist du nicht so unbesiegbar wegen deiner Kraft und Macht, sondern weil du unsere Schwächen so gut kennst? Kennst du meine auch? Bin ich dein nächstes Opfer oder wird’s die ganze Insel sein? So oder so, ich wäre mit ihr wieder vereint. Meine und ihre Asche zusammen im Staub. Du hast in gärendes Drachengift die fromme Insel verwandelt!

Zwei schwache, gedimmte Lichter wie Augen aus der Höhle.

Sigurd: Jetzt sind wir hier allein, Drache! Du und ich. Wir teilen ein Ziel: Den anderen zu besiegen. Du könntest mich erschlagen, verkohlen, zerquetschen, zerreißen. Und ich? Ich kann nichts gegen dich ausrichten. Aber eine Schwäche muss es doch geben! Ich muss es noch herausfinden, und das schnell, während du dich häutest und schläfrig und geschwächt bist, deine alte Haut abwirfst und dich in ewigem Wachstum erneuerst. Fast könnte ich Mitleid mit dir haben!

Er schleicht näher an die Höhle heran. Das Trommeln bleibt unrhythmisch und wird nur ein wenig lauter.

Sigurd: Geschwächt bist du in deiner Erneuerung. Die alten Schuppen fallen ab, die neuen müssen erst erhärten, was dich schwächt! Moment! Ist das die Lösung? Ich muss es wissen, es riskieren! Vielleicht ist das die Lösung! Vielleicht habe ich sie gefunden, deine Schwäche!

Sigurd schleicht noch näher an die Höhle und verschwindet in dieser.

Eine Weile Stille.

Vorhang.


Dunkelfaust, Aria und Kupferstift im Palast.

Aria: Es ist nicht mehr zu ertragen! Das kannst auch du nicht mehr leugnen!

Dunkelfaust: Ich arbeite unermüdlich daran, den Gestank des Drachens zu tilgen!

Aria: Den Gestank? Der Gestank ist das kleinste unserer Probleme!

Dunkelfaust: Da siehst du, wie deinem Großvater selbst das kleinste Problem am Herzen liegt!

Aria: Aber hast du auch eins, den Drachen zu töten?

Dunkelfaust: Töten? Du jetzt auch? Ich kann doch meine Schöpfung nicht vernichten!

Aria: Auch nicht, wenn sie dich verschlingt?

Dunkelfaust: Niemals! Selbst wenn wir die Kontrolle verlieren sollten, wir müssen ihn auch nicht vernichten. Es gibt immer noch den Plan B.

Aria: Du hast einen weiteren Plan? Ja heraus damit! Den möchte ich hören. Ein wenig Hoffnung nur, nach mehr frag ich ja gar nicht!

Dunkelfaust: In der Nacht kannst du ihn sehen! Er leuchtet rot am Firmament. In guten Nächten kann man ihn von hier aus sehen.

Aria: Ich verstehe nicht! [beiseite] Jetzt hat er den Verstand verloren!

Dunkelfaust: Nun, wenn diese Insel nichts mehr hergibt, warum suchen wir uns nicht eine neue, nicht eine neue Heimat, keine neue Insel, sondern gleich einen neuen Planeten? Wir bauen eine Rakete und fliegen durch den Äther zum Mars. Dort beginnen wir ein neues Leben!

Aria: Du willst zu den Sternen? Großvater, ist das dein Ernst?

Dunkelfaust: Sicher, es wird einige Tausende Jahre dauern, ihn bewohnbar zu machen. Aber dann steht uns eine neue Welt offen! Der Mars ist etwas für Krieger[30]! Er ist der Planet für Krieger! Ich stelle mir meinen Platz dort vor. Die Luft muss erst geschaffen werden, um dort atmen zu können. Aber ist das getan, die Atmosphäre transformiert, dann wird er für uns blühen, und wir werden von dort hinabsehen auf die graue, öde Erde! Ich habe Pläne über Pläne, wie wir solch eine Arche bauen und die Erde verlassen können!

 

Aria: Der Mars? Tausend Jahre? Das ist eine Ewigkeit! Was für ein Plan ist das denn?

 

Dunkelfaust: Was sind schon Tausend Jahre, wenn in alle Ewigkeit unser Name ehrfurchtsvoll geflüstert wird? Ich werde der Noah des Weltenraums! Hier auf der Welt finde ich doch keine Anerkennung. Die Menschen wissen mein Genie nicht zu schätzen. Sie sind undankbar und nörgeln und beschweren sich. Sie verstehen mich so falsch. Ich werfe es ihnen nicht vor. Das Genie ist halt einsam in seiner Phänomenalität! Auf einer anderen Welt werden sie es erkennen!

 

Aria: Aber es geht hier doch nicht um dich! Es geht um unser Leben!

 

Dunkelfaust: Du musst größer denken! Das ist es, was dich zurückhält: Dass du das Große, das Ganze nicht erkennst! Aber ich zeige es dir gern! Lass uns das angehen. Unser gemeinsames großes Projekt! Du und ich! Wir beide beginnen, und nachdem ich nicht mehr bin, wirst du es übernehmen und in die Zukunft tragen. Und vielleicht werden die Enkelkinder deiner Kindeskinder diese Rakete besteigen.

 

Aria: Das ist dein Ernst? In solch eine Welt kann man doch keine Kinder setzen! Wer würde so etwas machen? Meine Kindeskinder wären damit beschäftigt zu überleben, wenn sie es überhaupt so lange schaffen würden! Meinst du, die hätten Zeit an fantastischen Träumen zu werkeln? Sie würden sich wie Würmer in der Erde verbuddeln, verstecken vor der Rache dieser feuerspeienden Höllenkrähe! Bitte sag mir, dass du scherzt!

 

Dunkelfaust: Es ist mein heiliger Ernst!

 

Aria: Das ist also deine Antwort? Die Flucht, nachdem hier alles zerstört ist?

 

Dunkelfaust: Es ist ein Aufbruch zu neuen Errungenschaften!

 

Aria: Es ist Wahnsinn! Das kann doch nicht sein! Du bist wahnsinnig. [zu Kupferstift] Er ist wahnsinnig!

 

Kupferstift bleibt reglos.

 

Aria: Hier habe ich nichts mehr verloren.

 

Aria ab.

 

Vorhang.

 

 

 

Der Bauer, der Fischer und der Schuppenschleifer auf der Straße. Sigurd kommt eilig gelaufen.

 

Der Bauer: Schau mal, wer da kommt!

 

Der Fischer: Da ist das Freundchen ja endlich!

 

Sigurd: [aufgeregt] Gut, dass ich euch sehe!

 

Bauer: Ganz ruhig, mein Freund!

 

Schuppenschleifer: Was ist denn? Beruhig dich doch, und dann erzähl!

 

Sie umringen ihn, der Fischer versucht, hinter ihn zu kommen. Er hat einen Knüppel in der Hand.

 

Sigurd: Ich habe Neuigkeiten! Gute Neuigkeiten! Ich habe mich auf die Lauer gelegt und ihn beobachtet! Nicht nur beobachtet! Ich bin bis in seine Höhle gekrochen! Habe ihn gar berührt. Ich war ihm so nah wie ihr mir jetzt, und er war so friedlich zu mir wie ihr jetzt! Er hat eine Schwachstelle unter dem Bauch! Jetzt, da er sich häutet, ist er ganz verletzlich! Die neuen Schuppen sind noch weich. Am Bauch ist eine riesige Stelle, die ganz schutzlos ist! Es ist einfacher als gedacht! Fischer, mit deiner Hilfe kann ich es schaffen! Ganz allein!

 

Schuppenschleifer: Allein?

 

Sigurd: Mit einer deiner Harpunen könnte ich sein Herz durchstechen! Es braucht ein wenig Glück und noch etwas mehr Mut, aber keine Opfer! Ein Mann allein könnte das schaffen! Er ist geschwächt! Wenn er nicht unruhig ist, dann ist er schläfrig. Wir müssen nur die richtige Gelegenheit finden, aber die wird bald vergehen! Zusammen könnten wir ihn ablenken, und ein guter Harpunist hätte Zeit genug, ihm den Stahl ins Herz zu stoßen. Zur Not würde ich’s allein wagen! Jetzt ist die Gelegenheit! Er muss ruhen, er muss Kräfte sammeln, seine neuen Schuppen müssen sich festigen!

 

Bauer: So einfach ist es aber doch sicherlich nicht!

 

Sigurd: Doch, so einfach ist es! Allein könnte ich es zur Not! Dann wären wir ihn los und könnten ihn ausschlachten! Mit dem, was wir an seinem Kadaver verdienen, an seinen Schuppen, Zähnen, Knochen, an seinem Blut, da hätten wir ein hübsches Sümmchen für einen Neuanfang! Was sagt ihr?

 

Schuppenschleifer: Wir sollten nichts überstürzen! Darüber müssen wir reden.

 

Fischer: Genug geredet! Jetzt wird gemacht!

 

Der Fischer schlägt Sigurd von hinten einen Knüppel über den Schädel. Er fällt zu Boden, sie stürzen sich auf ihn.

 

Schuppenschleifer: Meinst du so?

 

Bauer: Oder so, du Verräter!

 

Fischer: Dich hauen wir weg, du Opfer, du Feind!

 

Sie schlagen und treten auf Sigurd ein, während der auf dem Boden liegt.

 

Schuppenschleifer: Da kommt jemand!

 

Bauer: Lasst uns verschwinden!

 

Fischer: Einen noch! Und noch einen!

 

Sie lassen ihn liegen und schnell ab.

 

Sigurd leblos auf dem Boden.

 

 

 

Aria und der Seemann. Sie finden Sigurd auf dem Boden und versuchen ihm aufzuhelfen.

 

Aria: Mein Gott, was haben sie mit dir angestellt? Sie haben ihn fast totgeschlagen.

 

Sigurd: [schmerzverzerrt) Halb ist nicht ganz! Es geht schon [will aufstehen].

 

Aria: Bleib liegen und halt still! Das ist genug des Heldentums!

 

Sie beugt sich über ihn und versorgt seine Wunden.

 

Sigurd: [versucht zu scherzen, aber voller Schmerz] Wie gesagt! Halb so schlimm! Ich lebe ja noch! Ein paar gebrochene Knochen bringen mich nicht um.

 

Aria: Mein Gott, sie haben dir wirklich die Knochen zerschlagen! Wie brutal kann man nur sein? Du hast ihnen doch nur helfen wollen! So danken sie es dir?

 

Sigurd: Wenn sie es verstehen, dann nehme ich auch ein paar kaputte Knochen hin. Irgendwann werden sie es schon lernen! Wenn es ihnen hilft, mir Gewalt anzutun, dann bitte!

 

Aria: Das ist doch Irrsinn! Diese ganze Gewalt, diese Brutalität, warum ist das alles so? Warum können wir das nicht wie vernünftige Menschen regeln?

 

Sigurd: Du bist naiv, das zu glauben!

 

Seemann: Wir sollten verschwinden, bevor sie zurückkommen!

 

Aria: Und zwar ganz weit weg!

 

Seemann und Aria helfen Sigurd mühsam auf und stützen ihn.

 

Die Drei langsam ab.

 

Vorhang.

 


 

Dunkelfaust in seiner Bibliothek vor seiner Erfindung. Es ist eine riesige Zeichnung. Auftritt Kupferstift.

 

Dunkelfaust: Heureka[31]! Ich habe die Lösung! Ein Ventilator im Raum bestäubt die Luft mit Rosenwasser und überdeckt den fauligen Schwefelgestank. Der andere befördert die verbrauchte Luft hinaus! So lösen wir es! Geschafft! Der Drache hat schon wieder einen Teil seines Schreckens verloren! So lösen wir alle Probleme! 

 

Kupferstift: Wundervoll!

 

Dunkelfaust: Und mit dieser Lösung können wir ganz nebenbei ein schönes Sümmchen verdienen! Stell dir vor, wie wir dies an die Insulaner verkaufen können! Jedes Haus bekommt solch eine Anlage! Lass die Manufaktur[32] genug davon herstellen. Wir verkaufen sie den Leuten! Sagen wir mit dreifachem Gewinn. Wir wollen nicht gierig sein! Sie werden uns noch ein wenig dankbarer sein! Gewinn von allen Seiten!

 

Kupferstift: Ich fürchte, viele haben gerade größere Probleme. Viele Menschen brauchen mehr als einen Ventilator.

 

Dunkelfaust: [missbilligend] Sie werden sich schon wieder beruhigen! Da mache ich mir keine Sorge. Es ist auch nicht mein Problem, wenn sie sich immer nur beschweren! Immerhin sind die Arbeiter auf meiner Seite!

 

Kupferstift: Sehr wohl. Ich gebe die Order sofort weiter. Haben Sie übrigens vom Sigurd gehört?

 

Dunkelfaust: Was ist mit dem?

 

Kupferstift: Er ist ziemlich übel zugerichtet worden.

 

Dunkelfaust: Er hat ein lockeres Mundwerk, da fängt man sich schnell mal eine Schelle[33] ein!

 

Kupferstift: Sie haben ihm wohl die Knochen gebrochen. Damit er den Drachen nicht tötet. Er hatte einen Plan!

 

Dunkelfaust: Dann haben sie ihm sogar einen Gefallen getan! Der Drache wäre sicher nicht so nachsichtig mit ihm gewesen! Mit gebrochenen Knochen wird der das hoffentlich so bald nicht nochmal versuchen!

 

Kupferstift: Ja… da liegen Sie vermutlich richtig. Trotzdem…

 

Dunkelfaust: Trotzdem was?

 

Kupferstift: Ich weiß nicht. Ist das alles richtig so?

 

Dunkelfaust: Richtig? Es ist notwendig!

 

Kupferstift: Ich weiß nicht.

 

Dunkelfaust: Weil du nicht weißt, arbeitest du für mich und nicht umgekehrt! Ich bin ein Macher! Ein Visionär. Ich durchblicke die Dinge, du stehst da und weißt nicht. Als Macher muss man eben machen. So wie die braven Bürger auch reagiert haben.

 

Kupferstift: Meinen Sie, dass das angemessen war?

 

Dunkelfaust: Ich meine, dass er sich das selbst eingebrockt hat. Und jetzt ab, die Ventilatoren bauen sich nicht von selbst! Und noch etwas: Damit ist alles gut! Ein glückliches Ende, würde ich fast behaupten! Der Drache hat sich seit Tagen nicht mehr gemeldet! All die Hysterie, die Panik und das Geschrei für nichts. Am Ende fügen sich die Dinge wie von selbst.

 

Kupferstift: Sehr wohl!

 

Kupferstift ab.

 

Vorhang.

 

 

 

Aria, Sigurd und Seemann in einem kleinen zusammengeschusterten Boot aus Müll. Der Seemann am Steuer. Sigurd liegt reglos mit verbundenen Armen und Beinen im Boot. Aria hält seinen Kopf und kümmert sich um ihn.

 

Aria: Unsere Insel wird kleiner, verschwindet am Horizont! Wenn ich meinen Daumen vor das Auge halte, kann ich sie damit komplett verdecken! So klein ist sie und so fragil[34]. In diesem Angesicht fühle ich mich noch viel winziger. Ich habe nie verstanden, warum wir sie den Smaragd des Ozeans genannt haben. Es war einfach ein schöner Name. Wie ein Werbespruch, der nett klingt. Nun, da wir sie aufgeben, verstehe ich ihn, glaube ich, und nun, da sie verloren ist, verstehe ich, wie groß der Reichtum ist, den wir einst hatten.

 

Vorhang.

 


 

Nach einer kleinen Pause Vorhang auf.

 

Es ist Nacht. Die Vorigen immer noch im Boot.

 

Aria: Seit Tagen nichts als Seewasser.

 

Seemann: Nichts als Seewasser? So viel Unrat um uns herum!

 

Er fischt Müll aus dem Meer.

 

Aria: [zu Sigurd] Wie geht es dir?

 

Sigurd: Besser. Wenn der Durst nicht wäre.

 

Seemann: Denk nicht daran. Aus dem Meer habe ich eine Plane gefischt, wir lassen Meerwasser morgen in der Sonne verdunsten und sammeln das Kondensat. Es wird nicht viel, aber es wird den Durst etwas lindern.

 

Aria: Aber wie lange?

 

Seemann: Was soll ich sagen? Nicht ewig. Aber jeder Tropfen hilft!

 

Sigurd: Immerhin riechen wir den widerlichen Gestank nicht mehr!

 

Aria: Der Drache ist so still! Meinst du, ihm ist etwas zugestoßen? Sind wir umsonst geflohen?

 

Sigurd: Das ist die Ruhe vor dem Sturm.

 

Vorhang.

 


 

Der Bauer, der Fischer und der Schuppenschleifer in der verkohlten Landschaft in der Nähe der Höhle des Drachens. Ganz leises, unrhythmisches Trommeln, wie ein sehr langsamer Herzschlag. Die Männer haben Tücher vor dem Mund und suchen wie Gudrun zuvor in dem Staub nach Reliquien des Drachens. Vor ihnen bereits ein riesiger Haufen von Drachenschuppen.

 

Schuppenschleifer: [hebt eine Drachenschuppe auf] Hab noch eine!

 

Fischer: [zieht eine aus dem Dreck] Ich auch!

 

Bauer: Hätte nicht gedacht, dass das so mühsam ist!

 

Fischer: [hustet] Kann man nicht ertragen!

 

Schuppenschleifer: Wolltet ihr nicht glauben, jetzt seht ihrs!

 

Bauer: Aber verdammt, wie viel wir sammeln! [hebt eine Scheibe auf] Hier ist wieder eine!

 

Fischer: Mit meiner Fischerei würde ich in Wochen nicht so viel verdienen.

 

Bauer: In Monaten!

 

Fischer: Vielleicht doch nicht so schlecht. Warum sollte ich aufs Meer und in stinkenden Innereien wühlen, wenn ich hier viel schneller reich werde!

 

Bauer: Lieber angestellt und reich als ein armer Bauer, sage ich!

 

Schuppenschleifer: Wir haben genug! So viel können wir gar nicht tragen!

 

Fischer: Das ist das Geschäft unseres Lebens! Wir sind noch lange nicht durch! Hier liegt noch viel rum!

 

Schuppenschleifer: Ihr solltet nicht gierig werden!

 

Bauer: Doch, sollten wir! Wir waren zu lange nicht gierig genug!

 

Fischer: Du weißt gar nicht, wie hungrig wir sind!

 

Schuppenschleifer: [setzt sich hin] Ich brauche eine Pause.

 

Bauer: Na gut!

 

Bauer und Fischer setzen sich auch. Der Bauer nimmt eine Flasche Schnaps heraus, nimmt einen tiefen Schluck und gibt die Flasche weiter. Sie kreist während des Gesprächs.

 

Fischer: Auf ein neues Leben!

 

Schuppenschleifer: Der Junge hatte recht! Das Vieh schläft sich aus.

 

Fischer: Friedlich wie ein besoffenes Baby!

 

Bauer: Vor dem brauchen wir keine Angst haben!

 

Schuppenschleifer: So viel Panik wegen nichts! Und das zum dreifachen Lohn!

 

Bauer: Jetzt können wir uns auch steinerne Hütten leisten!

 

Schuppenschleifer: Und man munkelt, dass Dunkelfaust was gegen den Gestank erfunden hat.

 

Bauer: Wir waren wirklich undankbar. Wie er sich kümmert.

 

Schuppenschleifer: So eine große Ernte hatten wir noch nie. Wie Sigurd gesagt hat! Das Vieh schläft einfach und wir sammeln es auf!

 

Fischer: Den haben wir schön zugerichtet. Habt ihr gesehen, wie der in die Knie gegangen ist?

 

Bauer: Du hast dich nicht zurückgehalten.

 

Fischer: Wünschte nur, ich hätte den letzten Schlag noch reinbekommen! Den hätte er nie wieder vergessen! [lacht] Oder vielleicht wären für immer die Lichter ausgegangen!

 

Bauer: Er ist wohl mit dem alten Seemann abgehauen. Und mit der Großtochter Dunkelfausts.

 

Fischer: Der verdammte Feigling!

 

Schuppenschleifer: Er wollte immerhin einen Drachen töten.

 

Bauer: Wollte…

 

Schuppenschleifer: Ist wohl besser so. Dass diese verzogenen Gören abgehauen sind.

 

Bauer: Auch wenn sie ihm das Herz damit bricht! Der wäre gern ein Held geworden!

 

Fischer: In den sicheren Tod sind sie gegangen. Solche Dummköpfe! Da draußen ist nichts als Wasser. Eine Wüste! Sie liegen bestimmt jetzt schon vereint auf dem Meeresboden!

 

Schuppenschleifer: Gut, dass wir nicht auf sie gehört haben!

 

Bauer: Kannst du laut sagen!

 

Fischer: Gib mir nochmal die Flasche!

 

Vorhang.

 


 

Aria, Sigurd und Seemann in ihrem Boot aus Müll. Der Seemann am Steuer. Sigurd geht es besser.

 

Sigurd: So werden wir also sterben? An Durst? Ich wäre lieber als Held, als Drachentöter gestorben, als hier so langsam unterzugehen.

 

Aria: Aber nicht in deinem Zustand! Was ist mit euch? Warum müsst ihr alle Helden sein und warum habt ihr immer den Tod im Sinne!

 

Sigurd: Wär ich ein Held gewesen, säßen wir nicht hier!

 

Aria: Weil du dann schon längst tot wärst!

 

Seemann: Dort! Schaut! Da am Horizont!

 

Sigurd: Was ist das? Was hebt sich da aus dem Meer heraus?

 

Aria: Eine Insel?

 

Seemann: Hier kann keine Insel sein! Ich kenne die Gewässer. Hier kann kein Land sein.

 

Aria: Und doch ist da was!

 

Seemann: Wir schauen es uns an!

 

Aus der Distanz plötzlich ein Leuchten, dazu gedämpftes Trommeln.

 

Sigurd: Er ist wütend. Seit Tagen schon tobt er.

 

Aria: Ist fast so, als hätten wir Glück, in dieser Nussschale zu sein! Wie müssen sich die Menschen dort fühlen [zum Seemann] Meinst du, er kann uns hier erreichen?

 

Seemann: So weit kann er nicht fliegen. Aber es ist nicht der Drache, der mir Sorgen bereitet. Es sind unsere Vorräte. Lange halten sie nicht mehr.

 

Seemann dreht das Segel und steuert das Boot.

 

Vorhang.

 


 

Im Palast. Ohrenbetäubend lautes Trommeln, Rauch füllt den Palast. Dunkelfaust und Kupferstift. Sie müssen brüllen, um sich verständlich zu machen.

 

Dunkelfaust: Mein Gott, was für ein Monster!

 

Kupferstift: Die ganze Insel hat er niedergebrannt!

 

Dunkelfaust: Was für eine unermessliche Kraft!

 

Kupferstift: Dieses ist das letzte Gebäude, das er noch nicht vernichtet hat!

 

Dunkelfaust: Es ist unglaublich!

 

Kupferstift: Und wir sind sicherlich die letzten, die noch übriggeblieben sind!

 

Dunkelfaust: Was für eine Ehre! Er zeugt mir Respekt, dass er mich als Letztes aufbewahrt!

 

Kupferstift: Was? 

 

Dunkelfaust: Er zeugt seinem Schöpfer Respekt! All das habe ich geschaffen!

 

Kupferstift: Geschaffen? Sind Sie wahnsinnig?

 

Dunkelfaust: Stell es dir doch vor! Wenn er alles niedergebrannt hat und man seine Gebeine und die Ruinen findet!

 

Kupferstift: Ich muss hier weg! Meine Güte! Welch Horror!

 

Kupferstift hastig ab. Als er die Bühne verlässt, wird das Trommeln noch einmal lauter und ein heller Lichtstrahl erleuchtet die Bühne. Dann lässt das Trommeln wieder nach.

 

Dunkelfaust: [geht ans Fenster und scheint dem Drachen zuzubrüllen] Ich stelle mir vor, wie einst ein Reisender auf diese Insel seinen Fuß setzen wird[35]. Dies alles halb versunken in Staub und überwuchert. Darüber drapiert die Knochen meines Drachens! Sonst nichts. Nur mein steinernes und versteinertes Vermächtnis. Der Entdecker aus fernen Ländern wird schaudern, was hier passiert ist: Also betrachte meine Werke und verzweifle! Mein Drache! Vollende dein Werk und mache mich zu einer Legende! 

 

Dunkelfaust hebt die Arme vor dem Fenster. Das Trommeln legt noch einmal zu. Rauch bläst durch das Fenster und verdeckt Dunkelfaust, dazu ein greller Lichtschein.

 

Vorhang.

 


 

Aria, Sigurd und der Seemann im Boot. Im Hintergrund eine schwarze Wolke, wo die Insel war, dazu Rauch, der aufsteigt.

 

Sigurd: Drei Tage hat er grausam gewütet. Jetzt ist es grausam, still und ruhig.

 

Aria: Wie mag es da jetzt aussehen?

 

Sigurd: Wie ein Friedhof.

 

Aria: Glaubst du wirklich?

 

Aria: Du glaubst, sie sind alle tot? Das wäre so grausam!

 

Sigurd: Niemand kann das überlebt haben.

 

Aria: Auch nicht Großpapa in seiner Festung?

 

Sigurd: Selbst, wenn die Gemäuer gehalten haben, das Feuer, der Sturm, sein giftiger Atem!

 

Aria: Wie schrecklich!

 

Sigurd: So wütend war er noch nie. Nach drei Tagen und Nächten Feuer? Es kann einfach nichts mehr übrig sein! Alles wird vernichtet sein! Alles am Ende.

 

Aria: Kannst du dir das vorstellen? Alle, die wir kennen, sind einfach tot. Niemand mehr, außer wir.

 

Sigurd: Ich kann es nicht fassen. Alles vorbei.

 

Seemann: Nichts ist vorbei. Das Leben kann er nicht auslöschen. Sie wird zurückkehren. Winzige Sprösslinge, kleine Halme erst, aber sie gieren nach dem Leben und werden sich behaupten. Es wird zurückkehren. Jungfräulich, unaufhaltsam. Die Natur ist stärker als diese Rachegöttin. Sie besitzt die Ewigkeit.

 

Aria: Meinst du? Aber ist das die Hoffnung? Der Drache ist ja noch da.

 

Sigurd: Er hat alles gefressen, was er kriegen konnte. Gras frisst er nicht. Jetzt wird er von seiner Gier gefressen. Sie ist einfach stärker.

 

Seemann: Die Zukunft regt sich bereits! Wir können es nicht sehen, aber sie ist bereit! Es ist das Ende, aber auch der Anfang!

 

Sie trauern stumm.

 

Vorhang.

 


 

Aria, Sigurd und der Seemann im Boot. Sie sind vollkommen erschöpft und dehydriert. Im Hintergrund, wo die Insel winzig zu erkennen ist, reckt sich eine riesige dunkle Rauchfahne in den Himmel. Sonst ist alles still.

 

Aria, Sigurd und der Seemann schauen eine Weile still darauf. Dann dreht der Seemann am Ruder sich schließlich um und starrt in die andere Richtung.

 

Seemann: Da ist etwas vor uns! Mitten im Meer, wo nichts sein dürfte.

 

Aria: Wenn da nichts sein dürfte, ist da auch nichts.

 

Sigurd: Warum dürfte hier nichts sein?

 

Seemann: Ich kenne die Gewässer, hier sollte nichts als Wasser sein!

 

Sigurd: Eine Insel?

 

Seemann: Es schwimmt. Dann kann es keine Insel sein.

 

Aria: Aber es ist riesig! Ich sehe es auch!

 

Seemann: Lasst uns dorthin! Mit unserer letzten Kraft!

 

Sie paddeln in die Richtung.

 

Sigurd: Eine Insel voller Müll!

 

Seemann: Ein faulig stinkendes, verrottendes Eiland aus Abfall.

 

Aria: Welche bittere Ironie!

 

Sie legen an und steigen vorsichtig aus dem Boot.

 

Sigurd humpelt auf improvisierten Krücken. Sie sehen sich um.

 

Aria: So viel davon. Wie unglaublich, wie widerlich. Es schüttelt mich, dieser Gestank, dieser Dreck! Das ertrage ich nicht!

 

Sigurd: Aber hier können wir ein Feuer machen.

 

Seemann: Mit den zerfetzten Netzen können wir fischen.

 

Sigurd: Wir können auch die Möwen jagen.

 

Seemann: Glaub mir, die will man nicht essen!

 

Sigurd: Aber man könnte es?

 

Seemann: Wie die Ratten, die da hinten herumkriechen.

 

Aria: Wie eklig!

 

Sigurd: Hier steht Brackwasser in den Fässern.

 

Seemann schöpft etwas Wasser heraus und probiert vorsichtig.

 

Seemann: Regenwasser. Fauliges. Aber man kann es abkochen, dann können wir es trinken.

 

Sigurd: Aus den Planen können wir ein Zelt bauen.

 

Aria, Sigurd und Seemann sehen sich an.

 

Aria: Also ist das unser neues Zuhause? Ihr wollt hier wirklich leben? Auf einer stinkenden Müllkippe?

 

Seemann: Besser als nichts.

 

Sigurd: Besser als das, was unserer Heimat passiert ist. Wir scheitern auf einem Abfallhaufen und haben doch so viel mehr als die, die uns verjagt haben.

 

Aria: Wie mag es da nun sein?

 

Sigurd: Die Hölle auf Erden.

 

Aria: Dann ist keine Hoffnung?

 

Sigurd: Wenn er alles gefressen hat, wird er erkennen, was er getan hat.

 

Aria: Du meinst den Drachen? Der ist so blind vor Gier, wenn er nichts mehr findet, wird er sich selbst verzehren.

 

Sigurd: Und so lange müssen wir hierbleiben?

 

Aria: Ein bisschen Buße wird uns guttun.

 

Sigurd: Wir werden Zeit haben, um Gudrun und die armen Menschen auf der Insel zu trauern.

 

Aria: Wir werden Zeit haben, um zu überlegen, wo wir versagt haben.

 

Seemann: Es gibt viel zu tun.

 

Aria: Der Seemann wird uns zeigen, wie wir unsere Zeit verbringen. Wir werden wie er Figürchen schnitzen und

 

Seemann: Täuscht euch nicht. Wir werden viel Zeit damit verbringen, am Leben zu bleiben. Unser Leben beginnt von vorn. Wir werden fischen und jagen und kochen müssen. Wir werden säen und ernten. Wir werden bauen und flicken und reparieren. Wir werden leben wie die ersten Menschen. Es wird nicht einfach sein! Wir werden den Elementen ausgesetzt sein und den unermesslichen Kräften des Meeres.

 

Sigurd: Ein Neuanfang. Ein ganz bescheidener. Den brauchen wir ganz dringend.

 

Aria: Ein Leben voller Entbehrungen. Aber ein ehrliches. Eins, das uns wieder zeigt, wer wir sind. Das brauchen wir vielleicht. Auch wenn es in einer kaputten Welt ist. Wenn es eklig ist und stinkt. Ein Leben auf schwimmendem Müll. Vielleicht ist das unsere gerechte Strafe.

 

Sigurd: Sollen wir es anpacken?

 

Seemann: Eine andere Wahl haben wir nicht!

 

Sigurd: Dann sei es so. Wir richten uns auf dem Dreck unserer Vorfahren ein und beginnen ein neues Leben.

 

Stille.

 

Aria: Seemann, hast du noch deine Samen?

 

Der Seemann nickt, greift in seine Tasche und holt eine Handvoll Samen heraus und verteilt sie an Aria und Sigurd.

 

Aria: Wir brauchen etwas Hoffnung. Lasst uns säen!

 

Der Seemann gibt ihnen eine Handvoll Samen, und sie werfen sie aus, als würden sie säen.

 

Aria: Hier wächst mal ein Apfelbaum[36]! Ein Zeichen unserer Hoffnung. Wer sät, der glaubt an eine Zukunft! 

 

Die Drei werfen stumm die Samen aus.

 

Aria und Sigurd halten sich an den Händen.

 

Vorhang.

 

Epilog

 

Aria und Sigurd vor dem Vorhang. Sie gehen an den Rand der Bühne und werfen Samen ins Publikum.

 

Sigurd: Wir haben auch noch ein bisschen Hoffnung, was euch betrifft! Aber bitte, jetzt macht auch mal was!

 

Aria: Nicht euch, sondern uns.

 

Sigurd: Okay, uns! Aber ihr müsst auch bald den Arsch hochkriegen!

 

Aria: Das sind Bildungsbürger, mit denen kannst du nicht so reden: Den Popo müsst ihr bewegen! Versteht ihr? Also, wir müssen was tun!

 

Sigurd: Ja genau, wir! Ihr alten, weißhaarigen Menschen auch!

 

Aria: Provozier sie nicht. Die wollen jetzt nachhause!

 

Sigurd: Im großen SUV? 300PS! Da sind sie sicher vor der Welt. Aber elektrisch! Klar, das macht dann alles wieder gut.

 

Aria: Ich muss mich echt für ihn entschuldigen!

 

Sigurd: Überlegt trotzdem mal, ob wir vielleicht doch nicht so ein bisschen recht haben.

 

Aria: Oder ob wir Quatsch vorgespielt haben!

 

Sigurd: Denn ihr alten, gut Verdienenden, hier in Deutschland. Ihr seid schon die, die ziemlich viel Dreck am Stecken haben! Ist euch klar, oder?

 

Aria: Jetzt fang nicht schon wieder an! Die wollen gehen! Da hinten stehen schon ein paar auf!

 

Sigurd: Ja okay, wir auch. Also Leute, ihr kennt das Zitat mit dem Vorhang zu und den offenen Fragen![37]

 

Aria: Nur, dass keine Fragen offen sind. Alle Antworten sind da. Jetzt müsst ihr auch mal machen!

 

Sigurd: Auf geht’s!

 

Aria: Und nehmt noch ein paar Samen mit und pflanzt auf dem Weg nachhause euer Apfelbäumchen!

 

Aria und Sigurd werfen ihre letzten Samen ins Publikum und verschwinden dann hinter dem Vorhang.

 

   [1] Dramatis Personae: (lat.) Personen, die in einem Theaterstück mitspielen.   [2] …ab: Wenn eine Figur die Bühne verlässt.   [3] Eiland: (veraltet) Insel   [4] Kasematten: unterirdische Gewölbe in einer Burg zum Schutz vor Angriffen.   [5] Beiseite sprechen: wenn in einem Theaterstück eine Figur mit sich selbst spricht, was das Publikum, aber niemand auf der Bühne hört.    [6] Springinsfeld: (veraltet) ein unbekümmerter, leichtsinnigen junger Mensch   [7] Herkulisch: (Adjektiv) der griechische Held Herkules bekam zwölf besonders herausfordernde Aufgaben, die er alle bestand.   [8] Mitteln: (veraltet) vermitteln   [9] Apokalyptisch: (griech.) endzeitlich, katastrophal   [10] Schoner: großes Segelschiff   [11]  Himmelfahrtskommando: Handlung, die mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben kostet.   [12] Lugger: Segelboot für den Fischfang entlang der Küste.   [13] Einen Reibach machen: (veraltet) Gewinn machen.   [14] Megäre: eine der Rachegöttinnen in der griechischen Mythologie, die für die Verfolgung und Bestrafung von Verbrechen zuständig ist.   [15] Fallieren: (veraltet) misslingen   [16] Schwarte: (veraltet) dickes Buch   [17] Chronik: eine geschichtliche Darstellung, hier Biografie   [18] Groschen: eine geringe Summe Geld.   [19] Kolonialwaren: (veraltet) Lebensmittel aus fernen Ländern (früher Kaffee, Tee, Gewürze etc.)   [20] Aberwitz: (veraltet) Wahnsinn   [21] Obsidian: besonders hartes vulkanisches Gesteinsglas, aus dem man Schmuck oder Messerklingen herstellt.   [22] tumb: einfältig, naiv   [23] Empathie: (griech.) Mitgefühl; Bereitschaft und Fähigkeit, sich in andere Menschen einzufühlen   [24] Lindwurm: (veraltet) Drache   [25] Philanthropie: (griech.) "Liebe zum Menschen". Im Allgemeinen bezieht sich Philanthropie auf das freiwillige Engagement von Einzelpersonen oder Organisationen, um das Wohl anderer Menschen zu fördern und soziale Probleme anzugehen.   [26] Mauerschau: eine Technik, bei der Ereignisse, die sich außerhalb der Bühne abspielen, durch die Berichte von Figuren auf der Bühne für das Publikum sichtbar gemacht werden. Diese Technik wird verwendet, um dem Publikum wichtige Informationen zu vermitteln, ohne dass die entsprechenden Szenen tatsächlich dargestellt werden müssen. Der Begriff "Mauerschau" ist dabei metaphorisch zu verstehen: Die Figuren schauen symbolisch über eine Mauer und berichten, was sie sehen, wodurch die Zuschauer das Geschehen vor ihrem inneren Auge miterleben können.   [27] Eine Volte schlagen: (veraltete Redewendung); ein Trick beim Kartenspielen, mit dem man Spielkarten manipuliert. Hier auch Wortspiel mit Voltigieren: ein Pferd im Kreis herumführen.   [28] Flanieren: Spazieren   [29] Kalamität: (veraltet) schlimme, missliche Lage   [30] Mars ist der antike römische Gott des Krieges.   [31] Heureka: (altgriech.) „Ich habe es!“ Der Spruch geht auf den griechischen Mathematiker Archimedes zurück.   [32] Manufaktur: (veraltet) Werkstatt, Fabrik   [33] Schelle: (veraltet) Ohrfeige   [34] Fragil: zerbrechlich.   [35] Anspielung an das Gedicht „Ozymandias“ von Percy Bysshe Shelley.   [36] Anspielung auf ein Zitat, das Martin Luther zugesprochen wird: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“   [37] Anspielung an das Drama: Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht, das mit dem Satz endet: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“